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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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verzerrt entenhausig wie vorher – und das sagte Elena ihrem Mann auch. Pieter grinste nur, setzte den Cursor auf einen Drehknopf mit der Aufschrift »Pitch« und zog ihn leicht nach links. Auf der darunter liegenden Skala mit dem Titel »Tones« sank umgehend der Messwert, und die Stimme verlor ihre aberwitzige Überdrehtheit und regelte sich allmählich auf Normalklang ab.
    »Du bist nachher um Neun in der Bank…«
    Noch ein bisschen an der Temposchraube drehen, dann haben wir dich, dachte Pieter und senkte mit dem Cursor die Anzahl der »Beats per Minute«.
    »…Viertel nach Neun hast du die Million…«
    Die Erkenntnis ließ beide zusammenfahren und einen entsetzten Blick miteinander wechseln.
    »…halb Zehn melden wir uns!«
    Eine helle, schneidende Stimme – unverzerrt, unverfälscht und unverkennbar. Pieter hämmerte den Zeigefinger auf die Tastatur und unterbrach den Loop. Es knallte wie ein Exekutionsschuss. Danach herrschte bedrohliche Stille.
    »Rufus…« flüsterte Elena geschockt.
    »Diese Ratte!« fluchte Pieter leise. Rufus, Chef im »Hell on Earth«. Wie oft hatte der sich schon an Pieter angeschleimt, über seine Witze gelacht und sich mit ihm fotografieren lassen!
    »Der hat das von Anfang an durchgeplant!« stieß Elena hervor. »Der hat das Mädchen regelrecht auf dich angesetzt! Und dann hat er sie abgeschlachtet!«
    Pieter nickte langsam. Natürlich – so müsste es gewesen sein. »Die haben mich unter Drogen gesetzt. Soviel kann ich gar nicht gesoffen haben – ich war total weggetreten. Und jetzt redet mir Rufus ein, ich sei ein Mörder! Und will noch fett abkassieren!«
    »Damit darf er nicht durchkommen«, forderte Elena entschlossen.
    Pieter lachte hilflos. »Wie willst du ihn stoppen?«
    Sie sah ihm seelenruhig ins Gesicht. »Hast du noch die Pistole?«
    Einen Augenblick lang verweigerte Pieters Gehirn die Verarbeitung dieser Frage. Dann streifte sein Blick hinüber zum Wandschrank, in dem hinter hellen Haufen antiquierter Tonbänder und Musikkassetten ein kleiner Karton lag.
    Darin die Pistole. Mit geladenem Magazin.
    »Geh… endlich… runter!« ächzte Bronstein, immer noch festgenagelt unter dem dicken Mädchen. »Max ist… längst über… alle Berge…«
    Hoffentlich, dachte Elke. Sie hockte bestimmt schon fast eine Stunde auf der Polizistin. Natürlich war Max längst weg, aber Elke graute schon vor Bronsteins Rache – wenn die erst ihre Bewegungsfreiheit wiedererlangte… Also spielte sie noch ein wenig auf Zeit. »Ein freundliches ›Bitte‹ wäre vielleicht angebracht.«
    »Bitte!« grunzte Bronstein umgehend.
    »Und keine Handgreiflichkeiten, wenn ich dich loslasse?«
    Die Kripofrau schwieg verstockt. Elke wippte einmal kurz hoch und ließ sich wieder schlaff heruntersacken.
    »Oooo… kay…!« pfiff es unter ihr gequält.
    »Großes Bullenehrenwort?«
    »Ja…!«
    Einmal muss es ja sein, dachte Elke und stand auf. Bronstein wälzte sich auf den Rücken, lag mit geschlossenen Augen da und pumpte hechelnd Luft wie eine Flunder auf dem Trockenen. Plötzlich spannten sich ihre Bauchmuskeln, sie schnellte ansatzlos in die Senkrechte und streckte die Hände in Kung-Fu-Manier vor. Scheiße, gelogen, durchfuhr es Elke, gefolgt vom Gedanken: Hätte ich an ihrer Stelle auch. Angesichts des Unausweichlichen stand sie da wie festgewurzelt.
    »Hiii!«
    Begleitet von einem wilden Schrei schnellte Bronsteins Faust nach vorn, wie von einer Bogensehne abgeschossen – eine Hochgeschwindigkeitsaktion, die Elke in ihrer Starre trotzdem in allen Details registrierte wie eine Zeitlupe: Aus der heranschießenden Faust streckten sich Zeige- und Mittelfinger, die spitzen Fingernägel voran, und rasten Elkes weit aufgerissenen Augen entgegen. Erst, als die Nagelspitzen beinahe die Pupillen ritzten, gelang es dem Mädchen, wenigstens ihre Augenlider zu schließen.
    Aus die Maus.
    Es passierte nichts.
    Ganz langsam riskierte Elke wieder einen Blick: Die Fingerspitzen in Nahaufnahme, Zentimeter vor ihren Augen, schockgefrostet in Aggression.
    »Entweder bist du mutig oder zu doof zum Weglaufen!« Bronstein senkte endlich ihren Arm.
    »Du kriegst mich doch spätestens am Fahrstuhl. Wenn du glaubst, das wüsste ich nicht, sollte man mal über deine Intelligenz spekulieren!«
    Bronstein wandte sich kopfschüttelnd ab, trat vor die große Panoramascheibe und starrte hinaus ins Leere.
    »Willst du nicht deinen Chef alarmieren?« erkundigte sich Elke vorsichtig.
    »Warum hast du das getan?«

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