Der Ring Der Jaegerin
den Lack. Nur in dem von wunderschönen, stilisierten Ranken umgebenen Rechteck in der Mitte standen lesbare Worte in altdeutscher Schrift. Ich versuchte, sie zu entziffern. Einfach war der Name: Katharina vom Walde. Das stand oben etwas größer als die anderen Wörter. Und dann folgten vier Zeilen, die ich mir mit Mühe zusammenbuchstabierte. Endlich hatte ich es. Der Spruch lautete:
Brichst Du das Siegel,
so warne ich Dich:
Du siehst in den Spiegel –
erkennst Du Dich?
»Hintergründig, Minerva, findest du nicht auch?«
»Nein, sehr offensichtlich.«
»Na, ich weiß nicht. Eine seltsame Warnung. Ich erkenne mich normalerweise im Spiegel.«
»Kommt auf den Spiegel an, Katharina. Kommt auf den Spiegel an!«
Womit sie natürlich mal wieder recht hatte. Es kam wohl auch auf die Frage des Erkennens an. Mann-oh-Mann, in was für eine eigenartige, bizarre Welt hatte ich mich hier begeben? Noch vor zwei Wochen war ich so zufrieden mit meinem geregelten Leben gewesen und jetzt?
»Muss ich die Siegel öffnen, Minni? Ich meine, nicht heute, sondern grundsätzlich.«
»Du musst nichts, Katharina. Aber du würdest mir und Trefélin helfen.«
»Schon, aber deswegen könnte doch noch immer ein anderer die Siegel aufmachen. Ich muss gestehen, mir ist nicht ganz geheuer dabei.«
»Du bist besser, als du glaubst. Wann ist Vollmond?«
»Übernächsten Donnerstag.«
»Woher weißt du das?«
»Woher weiß eine Frau, wann Vollmond ist? Zumindest bei mir passt es.«
»Siehst du. So, und an dem Tag brechen wir das erste Siegel auf.«
Ich nickte, musste aber heftig gähnen. Es schlug Mitternacht. Ich war müde. Nur eine Frage wollte ich Minni schon die ganze Zeit stellen.
»War Katharina vom Walde eine Hexe?«
»Man hielt sie dafür. Sie war eine Waise, geboren 1760, und wurde von einer weisen Frau aufgezogen. Sie lernte viel von ihr, von Pflanzen und Tieren, vom Wetter, von Krankenpflege und Geburtshilfe. Aber viel erkannte sie auch selbst, ohne dass jemand es ihr sagte. Sie hatte einen guten Blick dafür, wer wie behandelt werden musste. Ich schloss mich ihr an, als sie schon Mitte zwanzig war, und fand es sehr angenehm, mit ihr zu leben. Sie konnte wundervoll kochen. Nun ja, die Zeiten waren jahrelang gut für sie, obwohl im ganzen Land ein hässlicher Aberglaube herrschte, was heilkundige Frauen anbelangte. Katharina vom Walde war sehr vorsichtig, sie sagte immer, was in ihren Tränken und Tees, Salben und Kräutermischungen drin war, und beschrieb jedermann die Wirkungsweise, ganz ohne so einen albernen Hokuspokus wie Zaubersprüche und schaurige Zeremonien um Mitternacht. Sie hatte auch nichts mit Männern, obwohl sie eine schöne Frau war. Bis zu dem Tag, als sie den Sohn des Landesherrn traf. Sie verliebten sich, aber gegen eine Heirat sprachen die Umstände. Und die ausgewählte Braut ihres Liebsten. Die denunzierte sie als Hexe. Katharina war schwanger mit Mathilde, dennoch verurteilte man sie. Allerdings sollte die Urteilsvollstreckung erst nach der Geburt des Kindes erfolgen, das zumindest hatte ihr Liebster erwirken können. Mathilde kam zur Welt, man nahm ihr das Kind fort und führte sie zum Scheiterhaufen.«
»Wie grauenvoll, Minni, wie absolut grauenvoll.«
»Ja, Katharina.«
Ich gedachte meiner Vorfahrin mit aufrichtiger Trauer im Herzen. Dann fiel mir noch etwas ein: »Du sagtest letzthin, du seiest mit ihr gestorben?«
»Ja, die Katze der Hexe musste natürlich mitverbrannt werden. Aber Katharina gelang es, mir die Flucht zu ermöglichen, bevor die Flammen mich erreichten. Ich werde sie ewig dafür lieben.«
Ich saß einfach nur da und starrte auf meine Teetasse. Das Schlucken fiel mir schwer.
»Weine nicht, Katharina, das alles ist lange vorbei. Und sie hat uns ein wunderbares Vermächtnis gemacht mit diesem Buch.«
Minnis Stimme war nur mehr ein Flüstern, und ich merkte erst jetzt, dass mein Gesicht nass war von Tränen.
»Lass uns schlafen, es war sehr aufwühlend für dich, Katharina.«
Ich war in der Tat so erschöpft, dass ich kaum mehr wusste, wie ich ins Bett kam.
Da waren Flammen, lodernde, gelbe Flammen. Sie griffen nach mir, nach dem Saum meines Kleides, nach meinen nackten Füßen. Ich schrie und schrie und schrie und schrie.
Etwas Raues, Feuchtes kratzte über meine Wange.
»Wach auf, Katharina! Wach doch bitte auf! Katharina, wach auf!«
»Was? Oh, Minni. Ich habe so furchtbar geträumt.«
»Ich weiß, entschuldige bitte. Das sollte nicht passieren. Ich habe nicht genug
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