Der Ring der Kraft - Covenant 06
blinken und herabzulächeln begannen, das gemeinschaftliche laute Gezwitscher der Vögel allmählich verstummte, da hörte Linden Musik.
Anfangs vernahm nur sie die Klänge, eine mit äußerster Bedeutungsschwere gesungene Weise, die ausschließlich ihr Gehör wahrzunehmen vermochte. Sie schien den von Sternen umrahmten Umrissen der Bäume erhöhte Schärfe zu verleihen, gab ihnen im Lichtschein des niedrigen, im Abnehmen begriffenen Mondes auf den Hängen und Baumstämmen ein kontrastreiches Aussehen von vergänglichem Liebreiz. Gleichermaßen voller Klage wie auch erfüllt von Glanz, tönte der Gesang über die Hügel, als läge sein Sinn darin, sie mit Schönheit zu schmücken. Mit angehaltenem Atem, aus Eifer wie gebannt, lauschte Linden.
Dann erklang die Musik so klar wie Helligkeit, und alle Gefährten vermochten sie zu hören. Ein gedämpftes Keuchen des Erkennens drang zwischen Covenants Zähnen hervor.
Die Musik schwoll an, durchzogen von schmerzlichen Anklängen, kam näher. Das war das Lied der Hügel, des gemeinsamen, zusammengefaßten Wesens von aller Gesundheit, allem Heil Andelains. Jedes Blatt, jede Blüte, jeder Grashalm war eine Note dieser Harmonie; jeder Zweig, jeder Ast war ein Bestandteil der Weise. Macht pulsierte durch sie, jene Kraft, die das Sonnenübel aus Andelain fernhielt. Gleichzeitig jedoch war sie kummervoll, ernst wie ein Trauerlied; und sie beengte Lindens Kehle wie ein unterdrücktes Schluchzen.
»O Andelain! Vergib! Dies Ringen weiht mich dem Unterliegen.
Trag's nicht, dich vergehn zu sehn – derweil zu leben! –,
Verdammt zur Bitternis,
all des Grauen Schlächters Umtrieben.
Solang ich's kann, lausch' ich dem Ruf
Von Grün und Baum. Auf ihr Geheiß
Richt' ich des Gesetzes Schwert wider all den Erdenkreis.«
Noch während die Worte das ganze Maß ihrer Trauer und Entschlossenheit ausloteten, zeigte sich auf einer Erhebung vor den Gefährten der Sänger – erschien wie eine Umwandlung von Gesang in sichtbare Gestalt. Hochgewachsen und kraftvoll war er, gehüllt in ein Gewand, das so fein und weißlich-licht war wie die Klänge, die von den Umrissen seiner Erscheinung ausgingen. Seine Rechte hielt einen langen, knorrigen Ast, als wäre das der Stab seiner Macht. Denn er besaß Macht – und was für Macht! Seine bloße Stärke dröhnte, indem er näher kam, auf Lindens Sinne ein, schlug sie nicht mit Furcht, sondern Ehrfurcht. Ein längerer Moment verstrich, bis Linden dazu fähig war, ihn deutlich zu sehen.
»Caer-Caveral«, flüsterte Covenant. »Hile Troy.« Linden spürte, daß ihm die Beine zitterten, als wäre ihm zum Niederknien zumute, als wolle er sich vor der unheimlichen Gewalt des Forsthüters der Länge nach ausstrecken. »Du lieber Gott, wie bin ich froh, dich wiederzusehen!« Emanationen gefühlvoller Erinnerungen strahlten von Covenant aus, Schmerz und Rettung, bittersüße Begegnung.
Dann vermochte Linden durch das Leuchten und die Musik zu unterscheiden, daß der hünenhafte Mann keine Augen hatte. Zwischen Stirn und Wangen breitete sich die Haut des Gesichts senkrecht und glatt über die Höhlungen, in denen Augen hätten sein müssen. Doch allem Anschein nach brauchte er kein Sehvermögen. Seine Musik war die einzige Art von Sinn, deren er bedurfte. Sie erfaßte die Riesen bis ins Innerste, bezauberte sie, wo sie stehengeblieben waren, und sie verharrten mit Entrückung in den Gesichtern, Linderung allen Schmerzes in ihren Herzen. Sie durchtrillerte und durchwallte Linden, vertrieb alle Sorgen aus ihr, demütigte sie und hielt sie zum Schweigen an. Und sie wandte sich so geradeheraus wie ein Blick an Covenant.
»Du bist gekommen«, sang der Mann, entzog dem Grasboden das Glimmen von Melodie, zapfte Glitzerschleier der Begleitmusik aus den Bäumen. »Und mit dir ist die Frau aus deiner Welt. Das ist wohl.« Danach richtete sich sein Singen noch persönlicher an Covenant; und in Covenants Augen schimmerte Gram. Hile Troy hatte einst das Heer des Landes gegen Lord Foul ins Feld geführt. Aber er hatte sich an den Forsthüter der Würgerkluft verkauft, um einen entscheidenden Sieg erringen zu können – und der Preis waren mehr als drei Jahrtausende des Dienstes gewesen. »Thomas Covenant, du bist zu etwas geworden, dem ich nicht gebieten darf. Eines jedoch verlange ich von dir, und du mußt's mir gewähren.« Klänge flossen von ihm die Erhebung herab, kräuselten sich um Covenants Füße, entschwebten. Die Musik nahm eine Tonlage der
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