Der Ring der Kraft - Covenant 06
bin müde, sehne mich nach Erlösung, nach Ruhe und Frieden. Deine Liebe ist die Macht, die sie mir gewähren kann, und niemand kann dir die Bürde abnehmen. Nassics Sohn ...« – die Musik klang nicht nach einem Befehl, sondern drückte nichts als Trauer aus –, »du mußt mich erschlagen.«
Covenant fuhr zusammen, als erwarte er, Sunder würde sofort gehorchen. Der Steinmeister war verzweifelt genug, um zu allem imstande zu sein. Aber Linden, die ihn mit der gesamten Aufmerksamkeit ihrer Sinne unter Beobachtung hielt, sah daraufhin Sunders ungebärdige Gewaltsamkeit äußerster Bestürzung weichen. Er senkte den Krill. Flehentlichkeit weitete ihm die Augen. Jenseits der irrsinnigen Besessenheit, in deren Klauen er sich seit Hollians Tod befand, war er noch immer ein Mensch, der das Töten verabscheute, der schon zuviel Blut vergossen und es sich nie verziehen hatte. Seine Seele schien in sich zusammenzusinken. Nach tagelangem Durchhalten war er auf einmal dem Tode nah.
Der Forsthüter stieß seinen Stab ins Gras, und die Hügel erzitterten. »Führe den Streich!«
Seine Aufforderung zeichnete sich durch ein solches Maß an kraftvollem Nachdruck aus, daß Linden unwillkürlich die Hände hob, obwohl sie gar nicht ihr galt. Ein Teil von Sunders Innerem jedoch blieb ungebrochen, geistig klar. Die Kanten seines Kinns verkrampften sich von der alten Halsstarrigkeit, die ihn einmal dazu befähigt hatte, Gibbon zu trotzen. Bedächtig streckte er seinen Ellbogen, ließ den Krill in seiner schlaffen Hand baumeln. Der Kopf sank ihm nach vorn, bis das Kinn auf der Brust lag. Er unternahm keine weitere Anstrengung, um nach Atem zu schöpfen. Caer-Caveral verströmte Phosphoreszenz in die Richtung des Steinmeisters, die an einen erbitterten Blick erinnerte. »Nun gut«, trillerte er wütend. »Unterlaß es – und sei verloren. Dem Land ist übel gedient durch solche, die den Preis der Liebe nicht zu zahlen bereit sind.« Er drehte sich schroff um und kehrte durch die Mitte der Gefährten dorthin zurück, woher er gekommen war; unverändert trug er Hollians Leichnam in der linken Armbeuge. Und die tote Sonnenseherin begleitete ihn, als billige sie seine Worte. Ihre Augen waren silbrig und kummervoll.
Das war zuviel. Mit einem erstickten Aufschrei verwarf Sunder seine Weigerung. Er vermochte Hollian nicht gehen zu lassen; seine Sehnsucht nach ihr war zu stark. Den Krill in beiden Fäusten bis über den Kopf gehoben, stürzte er dem Forsthüter hinterrücks nach. »Nicht!« brüllte Covenant und rannte Sunder hinterdrein; aber zu spät.
Die Riesen konnten sich nicht rühren. Die Musik hielt sie unter dem Bann ihrer Faszinationskraft und verurteilte sie zur Reglosigkeit. Linden war sich nicht einmal sicher, daß sie wirklich verstanden, was sich rings um sie abspielte. Sie selbst hätte sich bewegen können. Sie fühlte die gleiche Unbeweglichkeit, die Pechnase und die Erste gepackt hatte; doch sie war zu schwach, um Linden auch im Ernstfall aufzuhalten. Sie konnte mit ihrem Wahrnehmungsvermögen nach der Musik greifen und sie sich zunutze machen. Mit der trägen Unvermitteltheit der Visionen oder Alpträume erkannte sie, daß sie dazu imstande war; die Musik würde es ihr erlauben, Sunder so schnell zu folgen, daß er den Forsthüter womöglich nie erreichte. Aber sie handelte nicht. Sie hatte keine Möglichkeit zum Ermessen der Implikationen dieser kritischen Situation. Doch sie hatte das Weh in Hollians Augen schimmern gesehen und bemerkt, daß die Sonnenseherin das von Caer-Caveral ausgesprochene Bedürfnis anerkannte. Und sie vertraute der schlanken, tapferen Frau. Linden tat nichts, um es zu verhindern, als Sunder mit der letzten Kraft seines Lebens die Spitze des Krill Caer-Caveral zwischen die Schulterblätter rammte.
Aus dem Stoß fuhr ein feuriger Ausbruch perliger Flammen, der die Gefährten der Bewegungsunfähigkeit enthob, Linden und die Riesen zu Boden warf, Covenant ins Gras schleuderte. Augenblicklich verwandelte sich alle Musik in Feuer und sammelte sich schlagartig um den Forsthüter, umlohte ihn – und mit ihm Sunder und Hollian; das Lodern entzog sie der Sicht, und es schien, als verzehre ein greller Wirbelwind sie, der als Feuersäule emporschoß, wie der Untergang jeglichen Gesangs zu den verwaisten Sternen aufzüngelte. Mißtöne der Furcht gellten und heulten rings um die Flamme; aber die Glutlohe schien sie nicht zu hören. In wildem Emporflackern verloderte das Feuer seine stumme, heiße Agonie
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