Der Ring der Kraft - Covenant 06
in die Nacht, als nähre es sich vom puren Herzen Andelains, trüge dessen Geist, indem er sich vor Entsetzen wand, noch hinauf in die Dunkelheit. Und während es immer höher brannte, war Linden, als könne sie hören, wie das grundlegende Gefüge der Welt zerriß.
Dann jedoch, bevor der Anblick eine unerträgliche Helligkeit annahm, begann die Flamme nachzulassen. Nach und nach verwandelte sich die Glutsäule in normales Feuer, gelb von Hitze und dem Verbrennen von Holz, und Linden sah, daß es aus dem schwarzen, geborstenen Strunk eines Baumstamms loderte, der zuvor nicht vorhanden gewesen war, als der Stich Caer-Caveral traf.
Der Krill steckte tief ins verkohlte Holz gebohrt, so tief, daß keine Hoffnung bestand, ihn je wieder herausziehen zu können. Nur die Flämmchen, die den Strunk umwaberten, machten ihn sichtbar; das Licht war aus seinem Edelstein verschwunden. Nun brannte auch das Feuer zügig herab, der verunstaltete Baumstamm hörte auf zu brennen. Wenig später waren die Flammen völlig erloschen. Rauch quoll an der Stelle, wo der Forsthüter getötet worden war, in die Höhe.
Aber die Nacht war nicht dunkel. Anderes Leuchten entstand rund um die fassungslosen Gefährten.
Hinter dem Strunk näherten sich ihnen Hand in Hand Sunder und Hollian. Wie die Toten waren sie in Silberglanz gehüllt; doch sie lebten in Fleisch und Blut, in heiler, menschlicher Gestalt. Caer-Caverals rätselhafte Absicht war verwirklicht worden. Durch den Geist des Forsthüters mit der notwendigen Macht und einem Katalysator ausgestattet, hatte Sunders Leidenschaft ihr Ziel erreicht; mit dem Krill war die Schranke, die ihn von Hollian abgesondert hatte, zertrennt worden. Auf diese Weise hatte der Steinmeister, der das Blutvergießen gelernt hatte, dessen Aufgabe das Töten gewesen war, seine Geliebte ins Leben zurückgeholt.
Rings um das Paar gaukelte ein Kreis von Flammengeistern, tanzte lichte Kapriolen des Willkommens. Ihre liebliche Herzlichkeit, so hatte es den Anschein, verhieß das Ende aller Pein.
Aber in Andelain gab es nicht länger Musik.
15
VOLLZIEHER DER SCHÄNDUNG
In der gedeihlichen, makellosen Morgendämmerung über den Hügeln Andelains kamen Sunder und Hollian zu Covenant und Linden, um ihnen Lebewohl zu sagen.
Linden begrüßte die beiden, als wäre die vergangene Nacht eine der schönsten Nächte ihres Lebens gewesen. Sie hätte selbst keine Gründe dafür nennen können; was sie erlebt hatte, widersprach allen Erwartungen. Mit Caer-Caverals Tod hatten wichtige Dinge ein Ende genommen. Linden hätte das Vorgefallene beklagen sollen, statt sich zu freuen. Doch auf einer zu tiefen Ebene, als daß sie dafür Worte zu finden vermocht hätte, besaß sie inzwischen Klarheit über die Gründe für die vom Forsthüter erwähnte Notwendigkeit seines Todes. Auch dies Gesetz muß gebrochen werden. Andelain war um seine Musik gebracht, jedoch nicht der Schönheit oder des Trostes beraubt worden. Und die Wiedervereinigung des Steinhausener-Paars flößte Linden zu große Freude ein; sie konnte keine Trauer empfinden. Auf paradoxe Art erregte Caer-Caverals Selbstaufopferung den Eindruck eines Versprechens von Hoffnung.
Covenants Miene allerdings war von gemischten Gefühlen verdüstert. Zusammen mit den Gefährten hatte er die Nacht damit herumgebracht, Sunder und Hollian zuzuschauen, wie sie sich an den Flammengeistern, die sie umgaben, ergötzt hatten; und für Linden war deutlich spürbar gewesen, daß der Anblick ihm ebenso Vergnügen wie Bedauern bereitete. Das wiederhergestellte Glück seiner zwei Freunde erleichterte ihm das Herz; anders verhielt es sich mit dem Preis dieser Wiederherstellung. Und sicherlich schmerzte ihn sein Mangel an Wahrnehmungsvermögen, der es ihm einzuschätzen verwehrte, was der Verlust des Forsthüters für Andelain hieß.
Der Steinmeister und die Sonnenseherin jedoch waren frei von allem Trübsinn. Sie kamen in überschwenglichem Frohsinn zu der Stelle, an der Linden und Covenant saßen; und Linden meinte, ihnen hafte noch etwas vom Silber der Nacht an, das ihnen sogar im Tageslicht Bedeutungsfülle verlieh, als wäre ihrer Existenz eine neue Dimension hinzugefügt worden. Lächeln glomm in Sunders Augen. Hollians ganze Haltung bezeugte betonten Liebreiz. Es überraschte Linden nicht, als sie merkte, daß das Kind im Leibe der Sonnenseherin den schwer faßbaren, mystischen Glanz ihres inneren Wesens mit ihr teilte.
Für einen Moment betrachteten die Steinhausener
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