Der Ring der Kraft - Covenant 06
Covenant zu erreichen hoffte, indem er die Konfrontation mit dem Verächter suchte. Die Frau aus deiner Welt würde hier finstere Schatten werfen , hatte Caer-Caveral einmal über sie geäußert. Linden freute sich über Pechnases wiedergefundene Heiterkeit, genoß die gute Laune, die das Geflachse der Riesen in Covenant erzeugte. Doch sie vergaß nichts.
Während sich der Abend über Andelain senkte, befiel Linden ein schwaches Schaudern banger Erwartung. Des Nachts wandelten zwischen den Hügeln die Toten. Alle alten Freunde und Bekannten Covenants, voll mit Bedeutungen und Erinnerungen, an denen sie nicht teilzuhaben vermochte. Die Frau, die er vergewaltigt hatte. Und die Tochter, die aus der Vergewaltigung hervorgegangen war und die Covenant geliebt hatte – und die seinetwegen das Gesetz des Todes gebrochen, in einem Wahnwitz, vermessen wie Haß, versucht hatte, ihm sein herbes, verhängnisträchtiges Schicksal zu ersparen. Die Vorstellung, jenen machtvollen Geistern womöglich zu begegnen, behagte Linden nicht. Sie waren die Männer und Frauen, durch die die Vergangenheit geprägt worden war, und es gab in ihrer Mitte für sie keinen Platz.
Unter einem ansehnlichen Güldenblattbaum machten die Gefährten für die Nacht halt. Ein naher Fluß mit Ufern aus feinem Sand bot ihnen Wasser zum Waschen. Aliantha waren reichlich zu finden. Das hohe Gras polsterte den Untergrund auf bequeme Weise. Und Pechnase zeigte sich als wahrer Springquell der Gutgelauntheit, des Diamondraught und der Geschichten. Während sich nach und nach samtene Abenddämmerung ausbreitete, Linden und ihre Begleiter in Dunkelheit und den sanften Schein der Sterne hüllte, beschrieb er das ausgedehnte Riesen-Palaver und die Prüfungen, mit denen in seiner Heimat die Riesen die Aussendung der Sucher beschlossen und seine Gattin zu deren Anführerin gewählt hatten. Er schilderte ihre Leistungen, als wären sie von der enormsten Art gewesen, hänselte sie mit seiner übertriebenen Aufschneiderei. Unterschwellig jedoch vermittelte seine Stimme nun einen gewissen Anklang von Fiebrigkeit, eine Andeutung von Bemühtheit, die Rückschlüsse auf sein tiefsitzendes Unbehagen zuließen. Andelain richtete sein Gemüt wieder auf; doch es konnte nicht seine Erinnerungen an Schwelgenstein und wildes Blutvergießen löschen, nicht sein Bedürfnis nach einem besseren Ergebnis all des Ringens stillen. Nach geraumer Zeit verfiel er in Schweigen; und Linden fühlte, wie rings um den Lagerplatz in wachsendem Maße Spannung die Luft zu erfüllen begann.
Überm Gras glommen Leuchtkäfer, trudelten unsicher umher, als vermißten, suchten sie die Musik des Forsthüters. Aber schließlich verschwanden sie. Die Gefährten setzten sich zu einer Art von abendlicher Nachtwache zurecht. Linden bemerkte, daß Covenant sich aus Mattigkeit und Sehnsucht in aufgewühlter Gemütsverfassung befand. Anscheinend fürchtete auch er seine Toten ebenso, wie er ihr Erscheinen herbeiwünschte.
Zu guter Letzt brach die Erste das Schweigen. »Diese Toten ...«, ergriff sie nachdenklich das Wort. »So ich's recht verstanden habe, werden sie durch den Umstand, daß des Todes Gesetz gebrochen worden ist, von ihrer verdienten Ruhe ferngehalten. Warum aber versammeln sie sich hier, wo alle anderen Gesetze überdauern? Und was bewegt sie dazu, sich den Lebenden zu nahen?«
»Freundschaft«, murmelte Covenant, dessen Überlegungen sich anscheinend anderen Angelegenheiten widmeten. »Oder vielleicht gibt ihnen die Gesundheit Andelains etwas, das genausogut wie Ruhe ist.« Seine Stimme bezeugte einen gewissen, distanzierten Schwermut; offenbar fühlte er sich ebenfalls durch den Verlust von Caer-Caverals Gesang ärmer. »Oder 's kann sein, daß sie ganz einfach noch nicht zu lieben aufgehört haben.«
Linden raffte sich zu einer Frage auf. »Warum benehmen sie sich dann so rätselhaft? Sie haben dir nichts als Andeutungen und Geheimniskrämerei zugemutet. Weshalb rücken sie nicht einfach mit allem raus und sagen dir, was du wissen mußt?«
»Ach, das deucht mich offenkundig«, entgegnete Pechnase an Covenants Stelle. »Unverdientes Wissen ist gefährlich. Nur indem man nach Wissen trachtet und es erringt, vermag man zu entdecken, welchen Nutzen es haben kann, ist's möglich, seinen wahren Wert zu ermessen. Wäre meiner Gemahlin Seidensommer Glanzlicht die Gewalt über ihre Klinge und ihre geschickte Handhabung auf rätselhafte Weise zuteil geworden, ohne alle Ausbildung, Erprobung und ohne
Weitere Kostenlose Bücher