Der Ring des Highlanders: Roman (German Edition)
Blick auf Bereiche jenseits der Schulmedizin zu eröffnen. Bis zu ihrem Tod vor zwei Monaten hatte sie es als ihre Aufgabe angesehen, Elizabeth die natürliche – oder besser gesagt die unnatürliche – Welt vertraut zu machen.
Dies hatte Barnaby Hart bis zu dem Tag verrückt gemacht, als er selbst vor vier Jahren das Zeitliche segnete. Ihr Vater hatte immer geklagt, dass er zwei Wochen benötige, um Elizabeth nach einem Besuch auf der Farm ihrer Großmutter wieder zurechtzubiegen. Meist war sie mit einem Koffer voller Heilkräuter, Tinkturen und Salben nach Hause gekommen und hatte das Zeug verstecken müssen, ehe ihr Vater es wegwerfen konnte.
Sie versteckte die Sachen unter den kosmetischen Utensilien ihrer Mutter, da sie bald entdeckt hatte, dass es am besten war, wenn man etwas so versteckte, dass es sichtbar blieb. Außerdem kannte Katherine den Wert der Kräuter und wendete sie an, wenn sich eine Erkältung meldete oder eine Falte es wagte, sich auf ihrem schönen Gesicht zu zeigen.
Das Telefon läutete und erschreckte Elizabeth zum zweiten Mal. Mit angehaltenem Atem hörte sie das fünfmalige Schrillen, hörte ihre Stimme, die den Anrufer bat, eine Nachricht zu hinterlassen, und vernahm anschließend nur Stille.
»Elizabeth«, sagte ihre Mutter schließlich. »Bitte, melde dich, wenn du zu Hause bist. James rief eben an, er sucht dich. Im Krankenhaus gehen sonderbare Dinge vor. Es handelt sich um Patienten – die auf unerklärliche Weise geheilt wurden. Melde dich, Elizabeth«, sagte Katherine mit fordernd erhobener Stimme.
Ruhig griff Elizabeth zum Hörer und hielt ihn sich ans Ohr. »Ich muss verrückt sein, Mutter, weil es stimmt. Ich habe zwei Menschen geheilt, nur indem ich sie berührt habe.«
Eine gute halbe Minute herrschte Stille.
»Mom?«
»Hat dich jemand dabei gesehen?«, fragte Katherine leise.
Elizabeth stellte den Drink auf den Tisch und umfasste den Hörer mit beiden Händen. »Ich glaube nicht«, flüsterte sie. »Mein OP-Team machte sich bereit, als ich mit der Frau betete. Ihr – ihr Mann war dabei, aber es geschah nichts Ungewöhnliches. Das Chaos spielte sich nur in meinem Kopf ab. Danach verließ ich den Raum, um mich für die Operation zu waschen. Mom, ich wusste gar nicht, was geschehen war, bis die Patientin in den OP-Raum geschoben wurde. Alle dachten, es handle sich um eine Verwechslung, da nach der Eisenbahnkatastrophe so viele Verletzte eingeliefert wurden.«
Wieder einige Sekunden des Schweigens, und dann: »Was ist mit James?«, fragte Katherine. »Er sagte, du wärest zu seinem Patienten gegangen, und der Junge sei plötzlich aus dem Koma erwacht. Und das war nicht zu erwarten. Man hatte ihn für gehirntot erklären wollen.«
Deswegen hatte James versucht, sie zu erreichen. Sie kannten einander schon ewig, seit ihre Väter gemeinsam eine Praxis geführt hatten. Und da er durch Elizabeth mit Grammy Beas Geschichten groß geworden war, regte sich nun Argwohn bei James.
»Ich … ich habe ihn geheilt, Mom«, flüsterte Elizabeth und schloss die Augen, in denen Tränen brannten, als die laut ausgesprochenen Worte bedeutungsvoll durch das stille Wohnzimmer hallten.
»Das hast du nicht getan, Elizabeth. Das kannst du nicht.«
»Ich habe es gespürt. Mom, ich habe Esther Brown und Jamie Garcia gespürt. Ich wurde eins mit ihnen und – und heilte sie.«
Wieder herrschte völlige Stille am anderen Ende der Leitung.
»Was soll ich tun?«, flüsterte nun Elizabeth und wischte sich eine Träne ab, die über ihre Wange floss. »Was passiert jetzt?«
»Du lügst«, sagte Katherine entschieden. »Lass das nicht zu, Elizabeth. Dein Leben wird ruiniert, deinen Beruf kannst du aufgeben, und die Medien werden einen Riesenzirkus veranstalten.«
»Ich muss weg«, setzte Elizabeth hinzu. »Hier kann ich nicht bleiben. Ich …« Sie atmete bebend ein. »Ich kann nicht zurück ins Krankenhaus, Mom. Ich dachte, ich würde verrückt … ich glaubte zu spüren, wie die Menschen an mir zerren und mich um Heilung anflehen.«
»Ach, Baby.« Katherine fing leise zu weinen an. »Es tut mir ja so leid. Du hast recht. Du musst fort – aber nur für eine Weile, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Da er nichts Konkretes in der Hand hat, wird James den Fall auf sich beruhen lassen müssen.«
Elizabeth umfasste den Hörer fester. »Nein, das wird er nicht. Solange wir beide uns um das Forschungsstipendium bemühen, wird er nicht lockerlassen. Er wird die Sache gegen mich verwenden.«
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