Der Ring des Sarazenen
Robin, würden sie vermutlich eine grausame Überraschung erleben.
Sie verscheuchte den Gedanken. Sie hatte im Moment andere Sorgen. Es hatte bereits einer ganzen Anzahl kleiner Wunder bedurft, um sie so weit kommen zu lassen. Damit sie aus dem Haus und möglicherweise sogar aus der Stadt herauskamen, brauchte sie noch eine ganze Menge mehr davon.
»Folgt mir!», befahl sie. »Aber seid um Gottes willen leise! Ganz egal, was passiert.« Irgendwie brachte sie das Kunststück fertig, Nemeth aufmunternd zuzulächeln, dann wandte sie sich endgültig um und schlich als Erste die Treppe hinauf.
11. K API T EL
Es kam, wie es kommen musste. In die Geräusche der verängstigen Sklavenschar, die den Ausbruch wagen wollte, mischten sich andere, eindeutig von oben kommende Laute. Robin bedeutete ihren verängstigten Begleitern mit einer energischen Geste zu warten und stieg als Erste die Treppe zum Erdgeschoss hoch. So leise und vorsichtig wie möglich schlich sie in die Halle. In ihrer überreizten Fantasie hatte sie sich bereits ausgemalt, dass sie hier auf durch den Lärm im Keller aufgeschreckte Wächter stoßen würde, aber zu ihrer Erleichterung war die Halle vollkommen menschenleer. Allerdings vernahm sie nun deutlich gedämpfte Gespräche hinter der nach außen führenden Tür, überlagert vom Plätschern des Springbrunnens im hinteren Hof.
Unendlich behutsam schob sie die Tür weiter auf, wobei die Angeln aus uraltem, halb verrostetem Eisen ein erbärmliches Quietschen ausstießen, das ebenso ungehört verhallte wie die anderen Geräusche bisher. Dann trat sie mit einem vorsichtigen Schritt durch den Spalt und huschte nach rechts, auf die Tür zu, hinter der sich der kurze Gang nach draußen verbarg. Robin betete stumm darum, dass alle Gefangenen sich so leise zu bewegen imstande waren wie sie - und dass kein Kind schrie. Am meisten Angst hatte sie davor, dass Mustafa unten im Keller auf die Idee kam, sich an ihr zu rächen, indem er durch lautes Geschrei Omar Khalid auf ihre Flucht aufmerksam machte. Sie hätte ihn niederschlagen oder wenigstens in seiner Zelle wieder einsperren sollen. Doch jetzt war es zu spät, um noch einmal in den Keller zurückzukehren. Sie musste die Sklaven so schnell wie möglich aus dem Haus bekommen. Sich auf ihr Glück zu verlassen und darauf zu bauen, dass niemand ihren Fluchtversuch bemerkte, wäre töricht.
Unbehelligt erreichte sie die Tür, schlüpfte hindurch und tastete sich durch den stockdunklen Gang bis zu seinem jenseitigen Ende. Ihre Finger berührten das raue Holz der massiven Tür, die ihn zum Hof hin abschloss. Durch die schmalen Ritzen zwischen den Brettern drang das rote Flackerlicht mehrerer Fackeln. Wie viele Wächter standen dort draußen auf dem Hof? Robin hatte den ganzen Tag über mit fast nichts anderem als damit zugebracht, auf den Hof hinabzusehen, aber jetzt konnte sie sich nicht erinnern. Waren es zwei oder drei?
Sie schloss die Augen, atmete so tief ein wie möglich und zwang ihre Gedanken zur Ruhe. Tatsächlich ließ die Panik sogleich ein Stück weit nach - nicht so weit, wie sie es gerne gehabt hätte -, und sie war sich schlagartig sicher, dass es zwei gewesen waren.
Das düstere Zwielicht im Korridor wich absoluter Dunkelheit, als der letzte Flüchtling den Gang erreichte und die Tür hinter sich zuzog. Die Tür knallte so laut zu, dass das Geräusch wie ein Gongschlag durch das Haus hallte. Robin zuckte erschrocken zusammen, tastete aber im nächsten Moment im Dunkeln nach dem Bronzegriff der Pforte zum Hof und zog mit der anderen Hand den Schleier vors Gesicht.
Sie hatte auch jetzt noch keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Das Einzige, was sie jetzt vorantrieb, war ihr unbändiger Freiheitstrieb und Salims wiederholt geäußerte Bemerkung, dass kein noch so gut aufgestellter Schlachtplan der ersten Begegnung mit dem Gegner standhält.
»Ich brauche zwei oder drei Männer«, flüsterte sie Saila zu, die unmittelbar hinter ihr war. »Die Kräftigsten. Aber seid leise!«
Die Araberin gab ihre Anweisung im Flüsterton weiter und nur einen Augenblick später hörte Robin, wie sich mehrere Gestalten durch den hoffnungslos überfüllten Gang drängten, um hinter ihr Aufstellung zu nehmen.
»Ich versuche, sie hereinzulocken«, sagte sie. »Ihr müsst sie überwältigen.« Nach kurzem Zögern und in verändertem Tonfall fügte sie hinzu: »Aber bitte keine Toten mehr.«
Sie glaubte nicht daran, dass die Männer ihr diesen Wunsch
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