Der Ring des Sarazenen
Zeichen!« Er keuchte. »O Allah. Ich werde sterben! Ich spüre schon, wie sich das Gift in meine Gedärme frisst!«
Ohne ihn zu beachten, ließ Omar den Sesamkringel fallen und klatschte zweimal hintereinander in die Hände. Die Tür wurde aufgerissen, und sein Leibwächter stürmte mit gezogenem Säbel herein.
»Wir müssen sofort weg!«, befahl der Sklavenhändler. Seine Stimme überschlug sich nicht vor Panik wie die Haruns, aber es gelang ihm auch nicht ganz, seine Furcht zu verbergen. »Auf der Stelle. Wir müssen die Stadt verlassen, noch in dieser Stunde. Bereite alles vor!«
»Ich werde sterben«, wimmerte Harun. Er röchelte, griff sich mit beiden Händen an den Hals und taumelte zwei Schritte rückwärts, bis er gegen die Wand stieß und langsam daran zu Boden sank, ein Gebirge aus Stoff und wogendem Fleisch.
»Du Narr«, sagte Omar. »Das hier war ein Zeichen, kein Anschlag.«
»Aber Ihr habt doch selbst gesagt…«
»Diese Kringel sind niemals vergiftet«, beharrte Omar. »Sie wollten uns nur sagen, dass sie hier sind. Und bei Allah: Das ist ihnen gelungen. Der Dolch und das Gebäck sind das Gift der Angst, das sie in unsere Herzen säen.«
Und aus seinen Worten und dem Ton seiner Stimme zu schließen, war die Saat bereits aufgegangen. Der Wächter war herumgefahren und wieder aus dem Zimmer gestürmt, um Omars Befehle auszuführen. Der Sklavenhändler indessen stand reglos da und starrte abwechselnd die beiden Sesamkringel auf dem Fenstersims und den dritten, halb aufgegessenen zwischen seinen Füßen an.
Harun - keineswegs beruhigt durch die Worte des Sklavenhändlers - röchelte und hechelte noch immer, und sein Gesicht verlor auch noch das letzte bisschen Farbe. Es hätte Robin nicht gewundert, wäre er im nächsten Moment tot umgefallen.
Langsam stand auch sie auf und trat an das vergitterte Fenster heran. Omar machte keine Bewegung, um sie aufzuhalten, ja, er schien sie gar nicht wahrzunehmen. Robins Finger glitten über die beiden so harmlos aussehenden Sesamkringel, die sich, wie aus Gold getrieben, deutlich vom weißen Stein des Simses abhoben. Sie waren tatsächlich noch warm, als wären sie gerade erst aus dem Ofen des Bäckers gekommen. Und Robin war jenseits allen Zweifels sicher, dass weder sie noch der Dolch dort gelegen hatten, als sie das Zimmer betreten hatte.
Mit klopfendem Herzen sah sie nach draußen. Die Gasse unter dem Fenster war menschenleer und dunkel. Das Zimmer lag im ersten Stockwerk des Hauses und die Mauer war so glatt, dass es eigentlich unmöglich war, ohne Werkzeug zu benutzen - und damit Lärm zu verursachen - daran emporzuklettern. Es gab keinen Sims, keine Verzierung, nichts, woran sich ein Kletterer hätte festhalten können. Wie also kam diese Botschaft der Söhne Ismaels hierher?
Robin wusste die Antwort darauf so wenig wie Omar Khalid oder Harun al Dhin, aber plötzlich war es ihr, als hörte sie Naidas Worte noch einmal: Sie werden kommen, um uns zu töten. Und eine Kälte nistete sich in ihrer Seele ein, wie sie sie noch niemals zuvor gespürt hatte.
15. K API T EL
Robin war weniger als eine Stunde geblieben, um zu entscheiden, welche Kleidung und welcher Schmuck auf die Reise mitgenommen werden sollten. Noch bevor Naida und ein schweigsamer Krieger sie ebenso eilig wie grob in ihr Zimmer zurückgeführt hatten, war Omar hinausgestürmt. Er hatte dabei weder sie beachtet noch den immer panischer wimmernden Harun al Dhin, der nach einer Pfauenfeder verlangte, um sich damit am Gaumen kitzeln und den vergifteten Kringel vielleicht wieder erbrechen zu können.
Während Robin in ihrem Zimmer über die bevorstehende Reise und den überhasteten Aufbruch nachdachte, begann das Haus rings um sie herum erst zu erwachen, um sich unversehens in einen regelrechten Hexenkessel zu verwandeln. Das Zeichen, das die Assassinen dem Sklavenhändler geschickt hatten, war mehr als deutlich, und dennoch hielt sie Omars Reaktion für nicht besonders klug. Hätte sie zu entscheiden gehabt, dann wäre sie hier geblieben, wo sie waren, hätte die Wachen verdoppelt oder gar verdreifacht und ansonsten einfach abgewartet, was weiter geschah. Eine der ersten Regeln, die Salim ihr über die Kriegskunst beigebracht hatte, war, dass ein Verteidiger in einer Festung - und sei sie noch so schwach - immer noch besser aufgehoben war als ein wehrloses Opfer auf der Flucht. Die Leichtigkeit, mit der der Assassine Omar seine Botschaft mitten ins Herz seines schwer bewachten
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