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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Geschichtsunterricht zu erteilen?
    »Komm!« Omar wedelte aufgeregt mit der Hand und führte sie zu einer Mauer, auf der man die leuchtenden Farben eines uralten Freskos erkennen konnte. Das Bild zeigte einen Mann mit einem spitzen Bart und einem Turban, bekleidet mit einem mit Gold und Perlen bestickten Kaftan und den üblichen, Robin immer noch etwas albern anmutenden Schuhen mit nach oben gebogenen Spitzen. Die Gestalt kniete vor einer Frau nieder, die ein schlichteres, dunkles Gewand und ein Kopftuch trug. Sie war unverschleiert, was sehr ungewöhnlich war, und ihr Gesicht war fein geschnitten, mit vollen Lippen und großen, dunklen Augen. Sie war eindeutig keine Araberin.
    »Wer ist das?«, hörte sich Robin fast gegen ihren Willen fragen.
    »Einst«, begann Omar, während er langsam seine Fackel schwenkte, sodass Licht und Schatten über das Fresko huschten und die uralten Bilder und Linien zu Leben zu erwecken schienen, »reichte die Macht des Kalifen Hisham von den Bergen, die die Welt tragen, bis zu den christlichen Königreichen, die weit im Westen hinter der Meerenge liegen. Er war mächtiger als jeder andere seiner Zeit. Der Segen des Propheten lag auf seiner Sippe. Selbst die Fürsten der Geister neigten ihr Haupt vor Hisham dem Gewaltigen. Es gab niemanden auf der Welt, dem er nicht befehlen, und nichts, was er nicht besitzen konnte. Gern ging er mit seinen Freunden auf ausgedehnte Jagdausflüge, und einmal, als sie einem Löwen nachstellten, der in die Wüste geflohen war, stießen sie auf ein Lager wandernder Beduinen. Ein armseliges Zeltlager, zu dem nur eine kleine Herde gehörte. Und doch fand Hisham hier den größten Schatz, dem er je begegnete.«
    Er schwenkte die Fackel zurück, sodass das Licht nun auf der unverschleierten Frauengestalt ruhte.
    »Es war Melikae, die Tochter des Scheichs Bahram. Sie war von solcher Schönheit, dass neben ihr selbst die Sonne verblasste. Hisham umwarb sie, doch sie, die ihr Leben nur im Wüstensand und unter Ziegen und Schafen verbracht hatte, wies ihn zurück. Hisham hätte mit einer Handbewegung für jeden der Männer des Scheichs Bahram hundert seiner Krieger aufbieten können, und er hätte vermocht, sich mit Gewalt zu holen, was er wollte, aber er tat es nicht. Er wollte Melikaes Herz gewinnen.«
    »Dann war er ein sehr ungewöhnlicher Mann«, sagte Robin.
    Omar schüttelte den Kopf, während er das Bildnis der vor Jahrhunderten verstorbenen Melikae ansah. »Oh, so ungewöhnlich nun wieder nicht. Ich glaube, er war eher ein sehr kluger Mann. Nur Dummköpfe glauben, dass sie sich alles mit Gewalt nehmen können, nur weil sie in der Lage dazu wären. Was nutzt dir der größte Schatz, den du dir mit Gewalt nimmst, wenn du das kleine Geschenk, das du haben möchtest, nie bekommst?«
    Das war deutlich, dachte Robin, doch vermied sie es, Omars Geschichte zu deuten.
    Der Sklavenhändler wartete einen Moment vergebens auf eine Antwort, dann fuhr er mit seiner Erzählung fort: »Unglücklich kehrte er in seinen Palast zurück. Doch seit er Melikae erblickt hatte, vermochte er keine Schönheit ohne Makel mehr zu sehen, denn er hatte Vollkommenheit erblickt, das Reinste und Edelste, was Allah in seiner Weisheit je erschaffen hat, und so musste ihm von nun an alles andere fade und hässlich erscheinen. In seinem Unglück ritt er in die Einsamkeit der Wüste hinaus. Dort traf er einen alten Mann, den die Weisheit Allahs erleuchtet hatte, und klagte ihm sein trauriges Los. Der Alte hörte ihm geduldig zu, dann erklärte er ihm, Melikae hätte wohl allein aus Angst das Werben des Kalifen ausgeschlagen. Das Volk der Wüste sei seltsam und anders als alle anderen Menschen. So, wie normale Männer es nicht überleben, wenn sie sich zu lange dem Atem der Wüste aussetzen, so können Beduinen nicht in Städten leben. Sie würden dort eingehen, wie eine Blume, der man das Wasser verwehrt.
    Darauf ritt Hisham noch tiefer in die Wüste und nutzte seine Macht, um den König der Dschinn herbeizurufen. Und von diesem verlangte er, dass er einen Palast mit Gärten inmitten der Wüste erschaffen solle, damit er, Hisham, einen Palast habe, von wo aus er regieren könne, wie es sich für den Beherrscher aller Gläubigen gezieme, und zugleich Melikae ihre geliebte Wüste nicht verlassen müsste. Der König der Dschinn willigte ein. Doch Hisham musste - wie jeder, der einen Handel mit den Geistern abschließt - einen Preis entrichten.
    Und sein Preis war, dass von nun an jeder mit

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