Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
vierundsechzig Jahre alte Mann hatte eine krumme, lange Nase im ausgezehrt wirkenden Gesicht. Dr. Kremer hob eines der Augenlider an und brachte kurz ein wasserblaues Auge zum Vorschein, das von wenigen dünnen Wimpern umrahmt war. Hauptkommissar Wagner dachte an Olaf Westhofen und seine durchtrainierte Figur. Bei früheren Fällen waren ihm bei Serienmorden Ähnlichkeiten im Erscheinungsbild der Opfer aufgefallen. Er hatte immer zu sagen gepflegt, dass auch ein Serienkiller seine Favoriten habe. Das traf hier jedoch nicht zu. Unterschiedlicher hätten diese beiden Opfer nicht sein können. Sie schienen beinahe willkürlich ausgewählt worden zu sein. Dr. Kremer untersuchte die Stichwunde. Er tippte auf ein Schwert mit breiter Klinge. Später wollte er noch einen Abdruck von der Wunde machen, um die Waffe genauer identifizieren zu können. Auch das war anders als beim ersten Opfer.
Diesmal hatte der Täter sein Mordinstrument offenbar wieder mitgenommen. Aber warum?
„Vielleicht ein Familienerbstück?“, scherzte Dr. Kremer. Hauptkommissar Wagner grinste. Im weiteren Verlauf der Autopsie fanden sich Tonsplitter im Haar und auf der Haut des alten Mannes. „Sie sind bemalt“, die Stimme von Dr. Kremer durchschnitt die Stille.
„Wie bei Tonschüsseln, die vor dem Glasurbrand bemalt wurden.“
Wagner war indes schon am Telefon und löcherte Menzel mit Fragen zum möglichen Ursprung der Tonsplitter. „Mhm, ja verstehe. Dank dir. Bis später.“
Der Gerichtsmediziner sah ihn neugierig an. „Ein Gartenzwerg aus Ton. Die Scherben wurden neben der Leiche gefunden.“ „Dank der Tonsplitter wissen wir immerhin, dass der Zwerg nach dem Tod in unmittelbarer Nähe des Opfers zerschlagen wurde.“ In Dr. Kremers Stimme schwang Triumph mit. „Schön. Der Täter hinterlässt keine Spuren, also DNA oder Ähnliches, richtig?“ Der Gerichtsmediziner nickte: „Bisher haben weder wir noch die Spurensicherung etwas Brauchbares gefunden. Der Typ muss sehr gewissenhaft vorgehen. Er trägt Handschuhe, Mundschutz und eventuell einen Ganzkörperanzug, so etwas wie einen Neopren-Tauchanzug. Oder vielleicht rasiert er sich vor jedem Mord sämtliche Körperhaare.“ Dr. Kremer freute sich über seinen Witz. Wagner war nicht in der passenden Stimmung.
„Das, was wir tatsächlich finden, hinterlässt er mit voller Absicht. Bei Westhofen waren es Regenwürmer, ein aufgemalter Drache auf der Brust des Opfers und dieser Ring. Bei Herrn Gornheim finden wir denselben Ring. Warum hat der Mörder den Gartenzwerg zerschlagen? Wir müssen davon ausgehen, dass er ihn selbst mitgebracht hat, so wie die Würmer, die Farbstifte - und die Ringe. Ich glaube, wir sollen anhand dieser Symbole sein Motiv erkennen. Wahrscheinlich hat es auch einen guten Grund, warum er beim ersten Opfer die Tatwaffe zurückließ, und beim zweiten nicht.“ „Er fordert Sie zu einem Ratespiel heraus. Wenn Sie seine Symbolik verstehen, können Sie ihn schnappen, Wagner.“ „Bisher verstehe ich leider gar nichts. Sie etwa?“ Dr. Kremer schüttelte den Kopf. „Wir sind hier soweit fertig. Gehen Sie was essen, Wagner. Wir bleiben in Kontakt.“ Theobald Wagner wusch sich die Hände und verabschiedete sich.
In seinem Kopf sausten einmal mehr Gedankenfetzen und Fragen durcheinander. Wählte der Mörder seine Opfer zufällig aus oder kannte er sie? Zweiteres wäre für die Polizei weitaus günstiger, denn so würde es genügen, die Bekanntenkreise beider Opfer abzugleichen. Aber würde das wirklich ausreichen? Der Bursche wirkte nicht so, als würde er Anfängerfehler machen. Oder doch? Irgendwann macht jeder Serienmörder einen Fehler, das sagte ihm seine Erfahrung. Wagner beschloss, sich am Nachmittag den Tatortfotos zu widmen und die Listen der näheren und weiteren Bekannten beider Opfer zu Hause bei einer Riesenpizza zu vergleichen. Außerdem musste er sich unbedingt das Protokoll zur Tatortbegehung durchlesen und soviel als möglich über Wilhelm Gornheim in Erfahrung bringen.
Als Hauptkommissar Wagner sein Büro betrat, stellte er wieder einmal begeistert fest, dass sein Team ganze Arbeit geleistet hatte. Obgleich sie in der jüngsten Zeit keine hohe Meinung von ihm hatten, arbeiteten sie mit unverändertem Engagement. Menzel brachte ihm den zusammengeflickten Gartenzwerg. Es war ein Schmied mit schwerer Schürze, der pausbackig und grinsend den Hammer über einem Eisen schwang, das zum Schmieden auf einem Amboss lag. Was sollte das nun wieder? „Welchen
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