Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Die Hure hatte ihm ein attraktives Äußeres geschenkt, das musste er anerkennen, auch wenn sie sonst zu nichts anderem gut gewesen war
.
Nach und nach begann die Musik Besitz von seiner Seele zu ergreifen. Zum Klang der Hörner übte der Mann sein Mienenspiel. Auch darin war er seinem Großvater inzwischen überlegen
.
Der Mann war seit geraumer Zeit alleiniger, unerbittlicher Herrscher über seine Emotionen. Nichts tat oder sagte er unüberlegt. Man nannte ihn souverän. Man wusste nichts über ihn. Und so sollte es bleiben, bis zu dem Tag, an dem er seine Identität preisgeben wollte. Der Mann hatte sich nun umgezogen, die lächerliche Maskerade abgestreift. Sie war jedoch notwendig, um sein Ziel zu erreichen. Obgleich er es hasste so zu tun, als gehöre er dieser lächerlichen Gesellschaft an, rief seine Disziplin ihn immer wieder zur Ordnung
.
Hier unten dagegen konnte er sich selbst treu sein. Ähnlich wie bei den Hinrichtungen. Hierbei war er seiner neuen Identität am nächsten. Der Alte vom Vortag hatte nicht einmal gewinselt. Schweigend war er gestorben. Der Mann reinigte das Schwert gründlich vom Blut und den verbliebenen Gewebsfetzen
.
„Ihr fragt euch sicher, wo es geblieben ist? Keine Sorge, ihr werdet es in Kürze finden.“
Sein Lachen übertönte kurzzeitig den Chor, während er das Schwert in den Schraubstock einspannte. Noch einmal drückte er den Griff des Schwertes mit aller Kraft nach unten
.
Mit einem klirrenden Geräusch brach die alte, geschmiedete Klinge am Schraubstock ab
.
Jetzt musste er sie nur noch ein weiteres Mal reinigen und verpacken
.
Der Mann drehte die Musik noch etwas lauter. Sie war so vollkommen wie er selbst es bald sein würde. Er nahm am Klavier Platz und seine Finger folgten auf der Tastatur der Woge der Musik, die aus den Lautsprecherboxen dröhnte. „Halte das Tempo, Albert. Verflucht noch mal. Du wirst es nie lernen. Ich verschwende meine Zeit mit dir! Disziplin!“
Der Mann lehnte sich im Spiel zurück und lachte schallend. Dieser alte Narr. Als junger Mann hätte er bequem Konzertpianist werden können. Dieser alte Hurenbock hatte zeitlebens nie soviel Talent und Disziplin gehabt wie er selbst
.
Er war jedoch zu Höherem berufen. Seit er dies zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hatte, arbeitete er akribisch an seiner Verwandlung und seiner Aufgabe
.
Er würde nun die Klinge des Speeres schärfen. Es war an der Zeit
.
Hauptkommissar Theobald Wagner erwachte an diesem Freitagmorgen leicht zerknittert. Nicht, dass vier Gläser Whiskey ihn ernsthaft aus der Bahn werfen konnten, die Blockade in seinem Kopf war allerdings selbst im Schlaf unerträglich. Mit oder ohne Alkohol.
Bis dato war er niemals derart ratlos gewesen. Natürlich war Theobald Wagner während seiner Laufbahn schon häufiger als einmal auf der falschen Fährte gewesen, das war jedoch bisher immer ein kurzfristiger Zustand gewesen. Früher oder später konnte er sich stets auf zwei Dinge felsenfest verlassen:
Zum einen war dies seine Fähigkeit, sich in andere, vornehmlich kriminelle Menschen hineinzuversetzen. Es war ihm nie sonderlich schwer gefallen, sich in die Gedankenwelt seiner Tatverdächtigen einzufühlen, deren Beweggrund und Antrieb zu durchschauen. Auch wenn die Person noch so widerwärtige Verbrechen begangen hatte, war es ihm stets gelungen, der Psyche dieses Menschen gefährlich nahe zukommen. Nannte man so etwas nicht Borderline-Syndrom? Jedenfalls war es gleichermaßen ein Segen wie ein Fluch. Zum anderen hatte er seine untrügliche Intuition, die sich beim Puzzlen an einem kniffligen Fall als mindestens genauso hilfreich erwies. Von all diesen Gaben, denen Wagner es zu verdanken hatte, dass seine Karriere immer nur nach oben orientiert verlaufen war, schien nichts geblieben zu sein. Eben diese Leere in seinem Kopf brachte Hauptkommissar Wagner nun an den Rand der Verzweiflung.
Während er noch unter der Dusche stand, waberte ihm ein unverzeihlicher Gedanke durch den Kopf: ‚Aller guten Dinge sind drei.‘ Natürlich war es absurd, einen solchen Impuls überhaupt zuzulassen. Dennoch ließ er sich nicht aus seinem Gehirn verbannen, schlimmer noch, er pochte renitent und rhythmisch gegen die Innenseite seiner Schläfen. Dieser Gedanke begleitete ihn weiter beim Abtrocknen und folgte ihm bis vor das Waschbecken. Wagner schlug mit der Faust gegen den Türrahmen neben sich, während er sein unrasiertes Gesicht im Spiegel betrachtete. Ein drittes Opfer sollte seine berufliche
Weitere Kostenlose Bücher