Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi

Festspielbesuche in Bayreuth, das Studium seiner Musik, Treffen des hiesigen Wagnerverbands, der im Übrigen einer der ersten seiner Art war.“
    Hauptkommissar Wagner kaute auf der köstlichen Salami und fragte sich insgeheim, wie die Musik aus dem Ring des Nibelungen wohl klingen mochte. Mit klassischer Musik hatte er bis dato nicht viel am Hut gehabt. „Zur Einstimmung auf unser Gespräch habe ich etwas vorbereitet.“ Elle nahm die Fernbedienung und öffnete damit eine Milchglasschiebetür, hinter der ein sündhaft teures Bose Soundsystem verborgen gewesen war. Dieser Schrank war das einzig moderne Möbelstück im ganzen Raum und wirkte trotzdem so, als würde er genau hierher und nirgendwo anders hingehören. Sogleich erklang aus scheinbar allen Ecken des Raumes volltönende Orchestermusik. Wagner saß mit offenem Mund auf der Couch. Bei seinem Anblick musste Elle lachen. „Dolby surround. Eine wirklich tolle Sache für Musikliebhaber!“
    Sie regulierte die Lautstärke mittels Fernbedienung auf ein Maß, das eine Unterhaltung wieder zuließ.
    „Wir fangen heute mit dem „Rheingold“ an. Es ist das leichteste Stück im Ring. Die erste der vier Opern im Zyklus. Sie sollten sich nicht allzu sehr auf die Musik konzentrieren. Lassen Sie sie vielmehr auf Ihr Unterbewusstsein einwirken. Wir konzentrieren uns indes auf Ihren Fall. Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Meinung zu ändern, Theo?“
    Obgleich Hauptkommissar Wagner nicht wirklich ein Klassikfan war, spürte er, wie diese Musik seinen Geist intensiv berührte. Er ließ es einfach zu, wie Elle es empfohlen hatte.
    „Sie haben über dieses Schwert gesprochen. Notung. Inzwischen weiß ich, dass Siegfried die zerbrochenen Teile im Ring des Nibelungen unter Anleitung seines Ziehvaters Mime wieder zu einem Ganzen schmiedete und den Zwerg damit später tötet. Aber er hat auch Fafner, diesen Lindwurm-Drachen damit getötet. Wenn ihre Theorie stimmen sollte, warum wurde dann nur Wilhelm Gornheim alias Mime damit getötet und nicht auch das erste Opfer, Olaf Westhofen, der Ihrer Meinung nach Fafner ist?“
    „Das sind gute Fragen, Theo. Ich befürchte nur, es sind die falschen. Sie konzentrieren sich derzeit zu sehr auf die Handlungsdetails der Opern. Unser Mörder hängt zwar an der Geschichte des Rings, doch er schreibt sie auf seine Situation passend um, meinen Sie nicht? Mir scheint, als empfindet er sich als höhere Macht, die gewissermaßen jenseits des Geschehens steht, und glaubt, erwählt zu sein, eigenmächtig zu richten.“
    Elle schenkte Wein nach, während Wagner darüber nachdachte, warum sie beide scheinbar um den heißen Brei herumschlichen. Mit diesen vagen Vermutungen kamen sie keinen Schritt weiter. „Elle, ich werde mit Ihnen über etwas sprechen, das mir ziemliche Schwierigkeiten einbringen kann. Es reicht eigentlich schon, dass ich überhaupt hier bin. Wenn mein Chef…“ Elle unterbrach ihn: „ … das Arschloch, davon erfährt, sind Sie erledigt. Ich weiß! Wie ich schon sagte, wir sind Verbündete, oder nicht?“ Sie erhob mit einer beinahe theatralischen Handbewegung das Glas und prostete Wagner zu. Wagner tat es ihr gleich und beschloss endgültig, ihr sein volles Vertrauen zu schenken. „Sie haben sich gewundert, warum beim letzten Opfer keine Beigaben erwähnt wurden. Ronny Pfingst hielt das Schwert, durch das Wilhelm Gornheim starb, in der Hand. Der Gerichtsmediziner hat zweifelsfrei festgestellt, dass es post mortem dort platziert wurde. Das war seine Beigabe.“
    Theobald Wagner atmete tief durch. War es ein Fehler, seine vertraulichen Informationen mit Elle zu teilen? Es fühlte sich richtig an. Jedoch wusste Wagner nicht, ob er seinem Gefühl noch trauen konnte. Er schob die Bedenken zur Seite. Es war ohnehin zu spät, um umzukehren, also fuhr er fort: „Und noch etwas ist merkwürdig, die Klinge war im oberen Drittel abgebrochen. Die Spitze lag in einem knappen Abstand ordentlich dem Verlauf des Schwertes folgend neben der Leiche. Wurde Notung im Laufe des Opernzyklus eigentlich zerstört? Ich habe im Internet nichts darüber gelesen.“
    Elle straffte ihren Rücken. Sie saß im Schneidersitz auf einem der riesigen Bodenkissen vor dem Sofa. „Ich hatte es mir schon gedacht. Das zerbrochene Schwert zeugt von Siegfrieds Versagen. Was aus dem Schwert Notung innerhalb des Rings wird, ist für uns unerheblich. Lösen Sie sich von der Vorstellung, den Mörder fassen zu können, indem Sie den Ring bis ins kleinste Detail studieren.