Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Ihr Mörder hat, wie viele andere Menschen übrigens auch, seine eigene Art, das Werk zu interpretieren. Richard Wagner hat mit voller Absicht viel Spielraum für Fantasie gelassen.“ „Aber wie können wir denn sonst auf seine Spur kommen? Was ist sein Motiv?“ Wagner war am Verzweifeln. Dieser Abend führte anscheinend wieder zu nichts, was besonders bitter war, denn er hatte all seine Hoffnungen auf dieses Gespräch gesetzt. Offenbar spürte Elle seine Verzweiflung, denn sie schüttelte lächelnd den Kopf.
„Machen Sie sich von diesem Druck frei, unter dem Sie stehen. Sie können sonst nicht klar denken. Sie müssen Ihre Dämonen besiegen, sonst kommen Sie der Lösung niemals näher. Denken Sie frei.“ Elle sah Wagner an, als wollte sie ihm den Teufel austreiben.
„Haben Sie gedacht, ich liefere die Antwort heute Abend auf einem Silbertablett? Es ist nur eine Ahnung, die ich habe. Allein mein Gefühl sagt mir, dass ich richtig liege. Sie kennen das doch auch, Theo! Oder sollte ich mich derart in Ihnen täuschen?“ Wagner betrachtete sinnend sein Rotweinglas. Woher wusste diese Frau soviel über sein Innerstes? Irgendwie war ihm das unheimlich. Elle setzte ihren Exkurs unbeirrt fort. „Vielleicht hängen diese drei Morde aber auch gar nicht zusammen. Da Sie momentan allerdings keine bessere Idee zu haben scheinen, kann es keine Zeitverschwendung sein, mit dieser Theorie zu jonglieren, finden Sie nicht?“
Wagner musste ihr diesbezüglich recht geben. Er drehte den Stiel des Weinglases in seinen Fingern, während er aufsah. „Das ist richtig, Elle. Die Morde hängen allerdings definitiv zusammen, denn alle drei Opfer haben eine unübersehbare Gemeinsamkeit. Es handelt sich hierbei um eine weitere Beigabe des Täters, die gegenüber der Presse aus verschiedenen Gründen nicht erwähnt wurde, und auch Sie dürfen darüber mit niemandem sprechen.“
Elle blickte ihn an wie eine junge Frau, deren beste Freundin ihr gleich ein unglaubliches Geheimnis anvertrauen würde. „Wir haben bei allen drei Leichen einen billigen Ring gefunden. Es ist eine Imitation dieser College-Football-Ringe, die in Amerika populär sind. Man findet sie in jedem Billig-Accesoires-Shop dieser Stadt. Die Ringe waren… ähm… im… ähm … Enddarm der Opfer gefunden worden - post mortem platziert.
Elle blickte Wagner entsetzt an, fasste sich jedoch schnell und erwiderte: „Es ist der Ring des Nibelungen, der da platziert wurde. Das sollte uns bestärken, in dieser Richtung weiter zu suchen. Sie müssen wissen, dass der Ring des Nibelungen in Wagners Zyklus das zentrale Symbol für Macht ist und obendrein von Alberich, seinem Erschaffer, mit einem Fluch belegt wurde. Wenn der Täter eine solch billige Imitation in den Enddarm seiner Opfer post mortem einführt, sagt das doch einiges aus. Finden Sie nicht, Theo?“
Die Erkenntnis riss ihn buchstäblich in die Höhe. „Der Sauhund will damit zum Ausdruck bringen, dass seine Opfer sich ihre billige Imitation der „Macht“ buchstäblich in den Arsch stecken können, wenn er mit ihnen fertig ist!“ Wagner sah Elle triumphierend an. Sie zustimmend: „Genau das dachte ich auch gerade, Theo!“ Hauptkommissar Wagner brach in heulendes Gelächter aus. „Nicht exakt in dieser Wortwahl, nehme ich an.“ „Ich dachte genau das, was Sie eben so treffend formuliert haben. Inklusive „Arsch“, konterte Elle und schenkte den letzten Rest Wein ein. „Dieser Ring ist das zentrale Symbol Ihres Mörders. Dieses Motiv verlangt geradezu nach Kraftausdrücken!“„Es geht also um Machtausübung, um Kontrolle…“ „Es geht um Bestrafung!“ ergänzte Elle. „Ihr Mörder ist entsetzlich wütend. Er bestraft seine Opfer und will, dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt. Sehen Sie sich seine Symbole an.“
Elle dachte kurz nach.
„Der aufgemalte Drache. Ein richtiger Kerl würde sich doch tätowieren lassen, das Opfer wurde jedoch nur mit Filzstiften bemalt. Regenwürmer haben, zwar fälschlicherweise aber bekanntermaßen, keinen besonders hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Gartenzwerge sind was für Spießer. Tja, und das zerbrochene Schwert symbolisiert den Fall des selbstverliebten Siegfrieds. Er tötet seine Opfer und verhöhnt sie dann. Das gipfelt in der höchst peinlichen Prozedur, einen Ring in einen toten Enddarm einzuführen.“
Wagner nickte, gab aber zu bedenken: „Wir haben immer noch kein Motiv, Elle.“
Der schwere Rotwein benebelte allmählich seine Sinne.
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