Der Ring von Ikribu
sie.
»Zweihunderttausend.« Allas strich sich über die Stirn. »Ja, Sonja, zweihunderttausend. Und Asroth löschte sie in weniger als einem Tag aus.«
»Er hat zweihunderttausend Menschen getötet?«
Allas schüttelte den Kopf. »Nein, die meisten flohen. Während wir gegen Asroths Kreaturen kämpften, flüchtete die Bevölkerung schreiend aus der Stadt. Ich fürchte, sie wird auch nicht mehr zurückkehren. Dieses Land ist nun verflucht.«
Übelriechende Leichen lagen verstreut auf dem Hauptplatz vor dem Palast. Meuten wilder Hunde trieben sich um sie herum. Hunderte von Leibgardisten in stumpfer Bronzerüstung waren hier gefallen. Insekten in dichten Schwärmen summten in der Luft und warfen Schatten wie dicke Wolken. Einige fahle Gesichter, eingefallen und verängstigt, spähten durch Fenster und zogen sich hastig wieder ins Innere zurück.
Olin saß vor der Freitreppe ab. Seine Offiziere und Soldaten hielten hinter ihm an. Die Söldner stiefelten bereits durch die verwüsteten Straßen und Gassen. Die Hauptleute wiesen ihre Männer an, auf die Söldner zu achten.
Obgleich offenbar keine Gefahr mehr drohte, zog Olin seine Klinge und stieg langsam die Stufen zu seinem Palast hoch. Sonja und Pelides folgten ihm dichtauf, und hinter ihnen kamen Allas, Tias, Som und noch einige andere. Olins Sinne waren angespannt. Obwohl keine unheimliche Armee seiner Streitmacht den Eintritt in die Stadt verwehrt hatte, war es durchaus noch möglich, dass Asroth mit seinen Kräften aus der Flügeltür stürmte, um sie auf der Freitreppe niederzumachen. Oder vielleicht erwartete sie eine Falle gleich hinter der Tür. Er durchquerte den Portikus, riss einen schweren Flügel auf und – blieb wie angewurzelt stehen.
Staub, Düsternis und Schatten lagen vor ihm – doch keine durch Zauber beschworene Streitkraft.
Olins Schritte hallten von den Wänden wider, als er den Hauptkorridor entlangschritt. Die anderen folgten ihm. Auch hier lagen Leichen herum, doch ansonsten war dieser Palast aus Marmor, Ziegel und Gold verlassen und still wie eine Gruft. Olin schritt unter der hohen Kreuzrippengewölbedecke dahin, zwischen den titanischen behauenen Säulen hindurch. An den offenen Türen von Vorgemächern, dem Empfangssaal und Banketthallen ging er vorbei, bis er schließlich am Ende des Korridors zu seinem Thronsaal kam.
Hier hatte er Gericht gesessen, Krieg erklärt, die Gesandten anderer Herrscher empfangen. Dies war das Herz seines Stadtstaates, seines Reiches, seines Volkes, seiner Armee.
Aber dieser Saal war verwüstet. Sein Thron war niedergerissen und zerschmettert. Stücke seines Steines und Splitter seines Holzes lagen auf den Stufen des Podests und den Fliesen des Fußbodens herum. Die massiven Tische und Stühle seiner Ratsherren waren zerschlagen und ihre Trümmer im ganzen Saal verstreut. Die Säulen waren durch Flammen oder Zauberei verschandelt, eine war in der Mitte geknickt und die stehende Hälfte gespalten.
Die Leibgardisten, die während der Schlacht hier gefallen waren, lagen, von Aaskäfern bedeckt, herum. Wandteppiche und Gemälde waren von den Wänden gerissen und teilweise verbrannt. Die Kohlen umgestürzter Feuerbecken und die Scherben von Eßtellern knirschten unter Olins Füßen. In der Mitte des Saales hob sich ein großer dunkler Kreis ab, als wäre etwas Rundes verkohlt. Ober vielleicht war etwas durch den Fußboden herbeibeschworen worden. Möglicherweise hatte Asroth sich dort mit Dämonen besprochen. Oder Überlebende gefoltert …
Schweigend ging Olin auf seinen zerschmetterten Thron zu. Seine Faust verkrampfte sich um den Schwertknauf, seine Muskeln spannten sich, und die. Adern am Hals und den Schläfen drohten durch die Haut zu quellen. Die ihm folgten, hielten den Atem an.
Am Fuß der Thronpodeststufen blieb Olin stehen und starrte auf die Verwüstung. Schweiß perlte auf seinem Gesicht. Vor seinem Fuß lag eine brünierte Bronzeschale. Er stieß sie an. Sie dröhnte hohl und rollte lärmend davon.
»Wo ist er?«
Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern, doch in dem stillen Raum klang sie wie Donnerschlag.
»Wohin ist er verschwunden?«
Olin holte tief Atem und drehte sich zu Pelides und den anderen um. Das Schwert zitterte in seiner Hand, als dränge es danach, sich in Asroths Herz zu bohren.
Tias schmiegte sich verstört an Allas, erschrocken über diesen vulkanischen Zorn in Lord Olin, als hätte sie Angst, er würde sich plötzlich über sie ergießen.
»Wohin ist er, Pelides?
Weitere Kostenlose Bücher