Der Ring von Ikribu
getötet, und der Grimm steckte noch in mir. Mir war, als müsste ich aus der Haut fahren, so sehr wollte ich Rache nehmen – aber wo war mein Feind?
Ich hatte nur ein paar Schluck Wein genippt, und doch fühlte ich mich wie betrunken. Ich glaubte fast, mein Herz hätte zu schlagen aufgehört und ich müsse ersticken. Durch meinen Kopf zuckte eine Warnung: dass Asroth mich durch einen Zauber aus der Ferne zu töten versuchte. Niemand im Saal bemerkte, was mit mir geschah. Es war, als wäre ich durch eine Nebelschicht oder dicken Rauch von den anderen getrennt.«
Sonja lauschte aufmerksam und sah, wie sich Schweißperlen auf Olins Stirn sammelten und er erregt gestikulierte.
»Und dann sah ich die Vision vor meinen Augen. Gerade noch aßen meine Leute am Tisch, im nächsten Moment verdrängte sie ein dichter Schleier, und vor meinen Augen entstand das Bild eines alten Raumes aus schwarzen Steinblöcken, eines sehr hohen und düsteren Raumes. In einer hinteren Ecke davon stand ein Hexer – Asroth, möglicherweise – der genauso schwarz und undeutlich wie der Raum war, wenn man von seinen gelben Augen absah, die wie Lampen brannten. Allmählich wurde sein Gesicht deutlicher. Es erinnerte an einen Totenschädel, dessen Weiß durch das Glühen der Augen einen fahlgelben Ton bekam. Ich stand ihm plötzlich gegenüber und spürte, wie ich mein Schwert zog. Es waren nun auch noch andere bei mir: du und Pelides, Allas und noch einige. Asroth – oder wer immer der Hexer war – sagte sehr schnell etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich hob mein Schwert, und nun war er so nahe vor mir, dass ich nur noch seine Augen sehen konnte. Sie hatten keine Pupillen, waren nur gelbes Licht, als wären es gar keine Augen, sondern das Höllenfeuer, das aus den Höhlen schien. Ich – ich schwang mein Schwert noch höher, und da hatte ich innerhalb dieser Vision noch eine Vision: eine Erinnerung an Suthad. Dann hörte ich Pelides schreien, und obgleich ich nicht in diese Richtung schaute, konnte ich ihn sehen. Er heulte vor Wut, und seine Maske war keine mehr, sondern sein wahres Gesicht, vor Schmerz und Qual verzogen: eine Helmmaske aus lebendem Gagat. Dann ging er zu Boden, auch Allas fiel, und meine Männer hinter mir. Während all dessen schwang ich mein Schwert, aber als ich es hinabhieb, zog die Klinge vor des Hexers gelben Augen vorbei und versperrte mir einen flüchtigen Moment den Blick auf sie. In diesem Moment schwand die Vision, sie war wie fortgerissen. Ich war zurück auf meinem Thron, und meine Männer saßen immer noch am Tisch und aßen. Ich spürte, wie ich den Atem einsog, und da wurde mir bewusst, dass ich diese ganze, so erschreckend lebensechte Vision in nicht mehr als einem halben Atemzug gesehen oder vielmehr erlebt hatte.«
Als Olin endete, hob er eine Hand zum feuchten Gesicht und rieb sich müde Stirn und Augen. Sonja atmete tief, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sie hörte ihren Rotschimmel wiehern, als habe Olins Geschichte eine Aura des Unheimlichen um den Hügel gelegt.
Sonja dachte an ihre eigene Vision, die so anders als Olins gewesen war und schon so lange zurücklag und doch jetzt diese zwiespältigen Gefühle in ihr erregte. Sie fragte Olin:
»Hältst du diese Vision für ein Omen?«
»Ich weiß nicht …«
»Oder für eine Botschaft von Asroth – eine Warnung, dass du nicht angreifen sollst?«
»Ich weiß nicht.« Olin blickte Sonja an, deren Gesicht in Mondschein getaucht war. »Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt, obwohl ich natürlich weiß, dass Verwundete auf dem Schlachtfeld in ihrem Fieber Visionen zu sehen glauben, die jedoch mit dem Abklingen des Fiebers aufhören. Aber ich habe auch gehört, dass Wahrsager und Seher sich in eine Stimmung versetzen können und dann Visionen sehen, die wahr werden. Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.«
»Aber du wirst doch deinen Angriff auf Asroth nicht aufgeben?«
Olin schüttelte entschlossen den Kopf. »Keinesfalls. Selbst wenn dies ein Zeichen sein soll, dass ich bei einem Angriff auf ihn sterben werde, dann werde ich eben im Kampf gegen ihn fallen, wenn es der Wille der Götter ist. Doch meine Truppen sind gegen dieses Unternehmen, und selbst jene, die geschworen haben, mir zur Seite zu stehen, zweifeln an einem guten Ausgang.«
»Wie oft im Leben ist der Ausgang von etwas zweifelhaft«, entgegnete Sonja mit bitterem Ton.
Olin schaute sie an. Sein Gesicht war noch gerötet von der Erregung über die durch seine
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