Der Ring von Ikribu
als Tiere. Und Asroth ist kein Sturm, keine Naturkatastrophe. Asroth ist böse – eine Krankheit, eine Seuche! Die unschuldigen Menschen, die er mordete, waren unsere Familie, unsere Freunde! Ihr Geist schreit nach Rache. Ja, Tias, ich höre den Geist aller in Suthad nach Rache schreien. ›Ihr müsst Asroth vernichten, ehe wir in Frieden ruhen können!‹ schreit er. Wir sind der Vergeltung fähig. Wir sind keine Tiere. Und ich vertraue Mitra oder welche Götter sonst über Himmel und Erde herrschen. Wenn Mitra uns vor dem Tod bewahrt, kehren wir hierher zurück und beginnen unser Leben noch einmal. Schenkt Mitra mir jedoch den Tod im Kampf, dann bin ich als Mann für eine gerechte Sache gestorben!«
»Du bist ein Narr!« wimmerte Tias, zutiefst verzweifelt, dass all ihre Überredungskünste vergebens gewesen waren, dass Allas den Tod ihr vorzog und so all ihre Hoffnung, in Liebe, Frieden und Sicherheit mit ihm alt zu werden, zerstörte. »Du willst sterben!«
»Nein!« Seine Stimme klang fest, aber auch voll Grimm, und sie schallte wie ein Tempelgong. »Nein – ich will nicht sterben, Tias. Aber ich bin Soldat, und ich möchte nicht, dass noch weitere wie die armen Burschen heute auf dem Platz sterben müssen – und ich werde tun, was ich kann, um es zu verhindern.«
Sie verfluchte ihn, weinte, knirschte mit den Zähnen und trampelte mit den Füßen wie ein trotziges Kind. Plötzlich drehte sie sich um, riss die schwere Tür mit einer Kraft auf, die Allas erstaunte, und rannte schluchzend aus dem Gemach.
Allas hatte jedoch seine Wahl getroffen und hielt sie für richtig. Er kehrte zum Fenster zurück, blickte hinaus – und sah zwei Reiter durchs Osttor traben. Sonja und Olin. Erleichtert drehte er sich um. Es war ihnen also nichts zugestoßen.
Er hatte Angst um sie gehabt.
Verbittert und gedemütigt rannte Tias den Korridor entlang. Plötzlich hielt sie keuchend an und stammelte etwas Unverständliches, als sie Herzog Pelides am Gangende an einem Fenster stehen sah.
»Könnt Ihr nicht schlafen?« fragte er Tias mit seiner aus dem Helm metallisch-hohl klingenden Stimme, ohne sich vom Fenster abzuwenden.
Tias starrte ihn nur an. Sie war im Augenblick zu erschrocken für eine Antwort. Sie hatte sich immer vor dem Herzog gefürchtet. Er erschien ihr als eine Kreatur der Finsternis, nicht menschlich, gefühllos, starr, entschlossen, augenlos. Nie aß oder trank er in Gegenwart anderer. Seine Stimme verriet selten ein Gefühl, weder Wärme noch Grimm. Sie hatte Angst ihn anzuschauen und blickte sich verstört auf dem Korridor um, der von Fackeln in weiten Abständen nur schwach erhellt wurde. Ihr Streit mit Allas war sofort vergessen. Sie sehnte sich ganz plötzlich nach seinen schützenden starken Armen, seinem fröhlichen Lachen.
»Tias.«
»Ja-a-a?«
Pelides drehte sich um und betrachtete sie durch seine schreckliche starre Maske. »Habt Ihr Angst vor mir?«
Sie brachte keine Antwort über die Lippen.
Als sie schwieg, fuhr er fort. »Kaum einer von uns findet in dieser Nacht Schlaf. Wir haben einen Kreuzweg erreicht. Wir sind jetzt eine Gemeinschaft. Die Götter haben uns von den Unfähigen befreit, von jenen, deren Los es nicht ist, den Weg in die Hexerei zu nehmen.« Er blickte wieder zum Fenster hinaus, als unterhielte er sich stumm mit jemandem oder etwas vor dem Fenster.
Tias’ Herzschlag beruhigte sich ein wenig, und wie gegen ihren Willen gestand sie: »Ich – ich möchte nur nicht, dass Allas stirbt …«
»Ihr müsst mehr Vertrauen in Euch selbst haben«, riet ihr Pelides, ohne sich ihr zuzuwenden. »Liebe ist nur ein Wort, nicht mehr als ein Paar Flügel für ein Huhn, außer jeder hat soviel Kraft, den anderen zu ergänzen. Diese Kraft muss durch Unabhängigkeit kommen!«
Tias starrte ihn staunend an. War dies der Pelides mit steinernem Herzen und einer Maske als Gesicht? Der mit Zauberei verfluchte Mann mit verbittertem Geist und schwarzer Seele?
»Ihr starrt mich an«, stellte er fest und wandte sich ihr zu. »Glaubt Ihr vielleicht, ich habe nie geliebt, nie vom Leben gelernt, ehe ich damit gestraft wurde?« Er klopfte heftig auf seine Helmmaske.
Auch jetzt fand Tias keine Antwort. Was sagte er da? Weshalb sagte er es zu ihr?
»Dieser Abend vor einem großen Aufbruch stimmt mich nachdenklich«, fuhr Pelides fort. »Ihr könnt Allas genauso wenig zurückhalten wie einen Sturm. Findet Euch damit ab. Wachst über Euch hinaus. Habt Vertrauen in Euch!«
»Ich – ich verstehe
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