Der Ring
künstlich wiederhergestellten Kongo. Sollten die Entsalzungsanlagen versagen oder die Generatoren ausfallen, wird die längliche Oase augenblicklich vertrocknen und im Sand versinken.
Schwerfällige, mit Steinen, Zement, Ziegeln oder Stahl beladene Frachter dringen von Schleuse zu Schleuse ins Landesinnere vor. Ab und zu halten sie an einer der Anlegestellen, die in regelmäßigen Abständen ins Wasser ragen, um ein paar Container abzuladen. Diese Punkte heißen schlicht Anlegestelle Eins, Anlegestelle Zwei und so weiter, aber sie sind weit mehr als das: Hier verdichtet sich die Bevölkerung, zwar nicht zu richtigen Städten, aber doch zu größeren Ansammlungen von Hütten.
Abgesehen von den Baumpflegern und Gärtnern, die hier und da die Bewässerungsanlagen überwachen, ist das Ufer verwaist. Erst nach hundert Kilometern erreichen wir das hügelige Brazeltown, eine Oase des Kapitalismus in der Wüste, ein künstliches Paradies für Vergnügungssüchtige. In einem klar abgezirkelten Radius um den Fluss sind Bars und Casinos aus dem Boden geschossen, im Hafen liegt ein Dutzend Frachter vor Anker.
Plötzlich hält der Bus vor einer Spielhölle, die vor allem mit ihrer leistungsfähigen Klimaanlage wirbt. Der Fahrer nimmt das Mikro in die Hand und kündigt eine zwanzigminütige Pause an. »Der nächste Bus geht in vierundzwanzig Stunden. Warum gönnen Sie sich nicht einen Tag Luxus«, sagt er mit ausdrucksloser Stimme.
Während wir uns ein paar Sandwiches besorgen und neben dem Bus herumlungern, schlendern einige unserer Reisegenossen, meist ebenfalls angehende Baumpfleger, in das Casino und verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Bald geht es weiter.
Der Kongo beschreibt hier eine exakt berechnete Kurve, um eine Halbinsel mit tiefer gelegenen Reisfeldern einzuschließen. Statt genkonstruierter Nutztiere streifen Singletons durch die saftig grünen Terrassen. Als sich die Straße kurz darauf vom Fluss entfernt, fahren wir auf einmal durch vertrocknete, zerbröckelnde Felder, durch eine Wüste aus bräunlich-gelbem Stein. Kaum zu glauben, dass einen Kilometer weiter, gleich hinter der Böschung, eine paradiesische Oase liegt. Kaum zu glauben, dass hier früher, vor einem Jahrhundert, alles Dschungel war.
Ein Grünstreifen im Wüstenmeer, sendet Meda.
Der reinste Irrsinn, meint Manuel.
Moira wägt ab. Wenigstens versuchen sie es. Wenigstens geben sie sich Mühe.
Sie beuten einen Fleck Erde aus, den niemand sonst haben wollte. Warum sonst sollte ihnen das OG ein Stück Land schenken?
Pflichtbewusstsein, Verantwortungsbewusstsein, Fürsorge , zählt Moira auf.
Buße, fügt Quant hinzu.
Strom schüttelt den Kopf. Was für eine Verschwendung.
Vorher war das Land erst recht verschwendet, antwortet Moira. Und allein wollte das OG das Projekt offensichtlich nicht durchziehen.
In der trockenen, wolkenlosen Luft ist der Ring klar und deutlich zu erkennen, und wie am Amazonas schwebt er unmittelbar über uns, da wir uns wieder auf Höhe des Äquators bewegen. Viele Kilometer vor uns scheint der Silberstreif geradewegs in den Horizont abzutauchen.
Manuel späht durch die Windschutzscheibe. Ich glaube, da vorne ist ein Aufzug.
Hinten am Horizont glitzert tatsächlich eine Ankerstation im Sonnenlicht, allerdings noch mehrere Hundert Kilometer entfernt. Wieder fragen wir uns, warum sich Leto nicht gleich im Ring eingenistet hat. Warum hat er die Waffen des Rings nicht längst gegen das OG gerichtet? Warum nimmt er sich nicht einfach, was er will?
Wir lassen eine Ansammlung Hütten links liegen, notdürftig zusammengezimmerte Baracken aus Wellblech und Sperrholz. Hohlwangige Gestalten starren dem Bus hinterher, zum Schutz vor der Sonne in weiße Laken gehüllt. Als die Straße in das saftige Flusstal einbiegt, sehen wir, dass die Grenze des fruchtbaren Gebiets von schwer bewaffneten Soldaten bewacht wird.
Die Verwaltung des Mangels, meint Quant. Erst fluten sie den Fluss, dann verkaufen sie das Wasser. So wird man reich.
Manuel winkt ab. Denkst du, die Community hätte es anders gemacht?
Ja, natürlich. Die Community hat keine Ressourcen verschwendet.
Dafür hat sie Krieg geführt. Und den Planeten zerstört.
Mit jedem Kilometer, den wir nach Osten vorstoßen, werden die Abstände zwischen den Gärten und Baumplantagen am Ufer und den Frachtern auf dem Fluss größer. Abends steuert der Fahrer ein Hotel an einer Anlegestelle an, mit dem er offensichtlich eine Abmachung hat.
Nachdem wir uns ein großes Zimmer
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