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Der Ripper - Roman

Der Ripper - Roman

Titel: Der Ripper - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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jener Nacht hörte ich Jesse ein paarmal meinen Namen rufen. Aber ich wusste, dass es nur der Wind war, der seinen Schmerz in die Dunkelheit schrie.
    Erst bei Sonnenaufgang wurde mir bewusst, dass der Regen aufgehört hatte.

    Das Sonnenlicht verlieh den Dingen neue Perspektiven.
    Vielleicht war Jesse ja doch nicht tot. Ich hatte die Überschwemmung überlebt. Durchaus möglich, dass es ihr ebenso ergangen war. Die Wahrscheinlichkeit war gering, und das wusste ich auch. Aber selbst wenn sie gestorben war - womit ich rechnen musste -, wollte ich sie suchen und ihr ein ordentliches Begräbnis zuteilwerden lassen, vorausgesetzt, ich fand ihre Leiche.
    Das Aufstehen war gar nicht so einfach. Ein Teil meines Körpers war gefühllos, der Rest böse zerschlagen. Aber ich schaffte es schließlich und reckte und streckte mich, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Schultern und Ellbogen fühlten sich an, als hätte sie jemand mit einem Schmiedehammer bearbeitet. Sobald ich meine Arme wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, bückte ich mich gerade weit genug, dass ich Satteltaschen und Gewehr aufheben konnte.
    Dann drehte ich mich um und sah mir den Hügel an. Abgesehen von ein paar Pfützen, die sich in der Hauptsache dort befanden, wo die Flut die Bäume entwurzelt und weggeschwemmt hatte, war unser Lagerplatz trocken. Die Findlinge, die wir als Ring fürs Feuer benutzt hatten, waren genauso weg wie jede Spur Feuerholz oder Asche. Die Flut hatte auch Sattel, Zaumzeug, Bettrolle und alles andere mit sich gerissen.
    Dort unten regte sich nichts.
    Ich rief Jesses Namen. Sie antwortete nicht. Ich rief immer wieder, aber die einzigen anderen Laute kamen vom Wind, ein paar Vögeln und dem dahin jagenden Wasser.
    Der Fluss jenseits der Felsformation sah jetzt wie ein richtiger Strom aus. Er war zum Zehnfachen seiner üblichen
Größe angeschwollen und trug Büsche und Äste mit sich nach Süden.
    Ich begab mich an den Abstieg, bei jedem Schritt stöhnend, und wollte gerade vom untersten Felsen herunterspringen, als ein Wiehern die Stille zerriss.
    Es war der schönste Laut, den ich mir in diesem Augenblick hätte wünschen können - mit Ausnahme von Jesses Stimme natürlich.
    Er kam von links, also riss ich den Kopf in die Richtung. Der jähe Schmerz in meinem Nacken ließ mich aufstöhnen, aber beim Anblick Generals musste ich lächeln. Er war nicht mehr als hundert Yards entfernt und zupfte Blätter von einem Busch.
    Ich hatte etwa den halben Weg zu ihm zurückgelegt, als er mich bemerkte, den Kopf schüttelte, schnaubte und mir entgegenkam. Das Erlebnis der vergangenen Nacht, das ihn um Haaresbreite das Leben gekostet hatte, war ihm nicht mehr anzumerken. Nachdem ich ihn mit ein paar herzlichen Worten begrüßt und ihn getätschelt hatte, warf ich die Satteltaschen auf seinen Rücken und führte ihn zu einem Felsblock. Den benutzte ich als Podest und konnte so mühelos aufsteigen. Das Gewehr in der Ellbogenbeuge haltend, vergrub ich die andere Hand in Generals Mähne und lenkte ihn Richtung Fluss.
    Ich ritt am Wasser entlang, rief Jesses Namen und ließ meine Blicke unablässig über beide Ufer schweifen. Die Sonne hatte begonnen, alles zu erwärmen, und nun stiegen Dampfschwaden vom Boden und der Wasseroberfläche auf. Der Nebel verbarg jedoch nichts, da er dazu nicht dick genug war. Doch bewirkte er, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken lief. Die Stille, die Baumstämme, die in den schmutzigen Fluten trieben, die verendeten
Tiere, die hier und da am Ufer lagen, das weiße Leichentuch des Nebels, das alles gab mir das Gefühl, durch eine Ödnis zu reiten, die jedem Alptraum zur Ehre gereicht hätte.
    Der Fluss hatte offenbar alles getötet, was sich ihm in den Weg gestellt hatte. Ich stieß auf die Kadaver von Vögeln, Schlangen, Wüstenratten und sogar einem dreibeinigen Coyoten, die alle ans Ufer gespült worden waren. Fliegen summten um sie herum. An dem Coyoten machte sich ein Bussard zu schaffen.
    Einmal trieb im Wasser ein toter Esel vorbei.
    Sosehr ich Jesse auch finden wollte, ich fing an, mich davor zu fürchten. Sie musste tot sein, genau wie all die Tiere. Ich wollte sie nicht so sehen müssen. Doch es war meine Pflicht, weiter nach ihr Ausschau zu halten. Ich hoffte bloß, dass ich sie vor den Bussarden finden würde.
    Kurz nachdem die Sonne den Nebel weggebrannt hatte, entdeckte ich am anderen Ufer einen angetriebenen Baum. Aus dem Astgestrüpp an der Spitze ragten zwei weiße Beine empor. Als ich das

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