Der Ripper - Roman
leid.«
Nach einer Weile sagte Jesse: »Was glaubst du, wo sie inzwischen steckt?«
»Sie könnte überall sein. Vielleicht ist sie nach New York zurückgekehrt.«
»Vielleicht wartet sie in Tombstone auf dich.«
»Das spielt keine Rolle mehr. Ich will sie nicht wiedersehen.«
Das ließ Jesse für eine Weile verstummen. Sie lag reglos auf der Seite; einen Arm unter das Stück Stoff geschoben, sah sie mich von der anderen Seite des Feuers an.
Schließlich sagte sie: »Verstoß sie nicht meinetwegen.«
»Du bist nicht der Grund. Ich hatte meine Entscheidung schon lange getroffen, bevor du mir begegnet bist.«
»Aber sicher.« Sie sagte es ganz ruhig und hämisch.
»Verdammt nochmal!«
»Kein Grund zum Fluchen.«
»Du kannst einen in den Wahnsinn treiben!«
»Ich bin es nicht gewesen, der sich mit Sarah vergnügt hat.«
»Und ich soll glauben, dass du noch so unschuldig bist wie am Tag deiner Geburt? Du selbst hast mir von den Kerlen erzählt, die es auf dich abgesehen hatten.«
»Nicht einer von ihnen hat mich bekommen .«
»Aber sicher!«, gab ich zurück.
»Ganz genau. Und ich habe auch vor, dass das so bleibt.«
Sie schloss die Augen. Genauso gut hätte sie weggehen können.
Ich hatte nicht übel Lust, einen Stock nach ihr zu werfen. Die andere Hälfte von mir wünschte, sie in den Armen zu halten. Von all den Frauen, die mir begegnet waren,
war sie diejenige, die mich am meisten in Rage bringen konnte.
Von Anfang an hatte ich geplant, sie bei der ersten Gelegenheit loszuwerden.
Je eher, desto besser, dachte ich. Sie macht mich verrückt.
Aber die Vorstellung, mich von ihr zu trennen, rief nur ein Gefühl der Leere hervor. Ich erinnerte mich daran, wie schlecht es mir nach dem Gewitter gegangen war, als ich sie totgeglaubt hatte, und wie ich mich darüber gefreut hatte, sie lebend vorzufinden.
Gefesselt von dem Deutschen.
Wäre ich nicht gewesen, hätte er sie sich mit Sicherheit zu Willen gemacht. Dann wäre sie jetzt bestimmt nicht mehr so hochmütig und würde mir Sarah vorhalten. Vielleicht hätte ich mir mit ihrer Rettung etwas Zeit lassen sollen.
Nach diesem Gedanken kam ich mir schrecklich gemein vor. Ich nahm ihn sofort zurück und entschied, dass ich mich glücklich schätzen konnte, sie rechtzeitig gerettet zu haben.
Ich wollte nicht mehr an sie denken. Das konnte nur der Schlaf bewerkstelligen. Und so warf ich noch Holz aufs Feuer, schnallte den Revolvergürtel ab und streckte mich aus. Der Boden war ganz schön hart. Das Feuer wärmte zwar meine Vorderseite, aber mein Rücken blieb kalt.
Dennoch muss ich eingeschlafen sein, denn plötzlich wachte ich auf. Es war noch Nacht. Kälter als zuvor. Es war so kalt, dass ich zitterte. Jesse hatte mich wohl geweckt, denn sie warf Holz aufs Feuer. Natürlich sah sie mich nicht an. Ich hielt den Mund und schloss die Augen. Und
stellte mich schlafend, selbst dann noch, als sie sich hinter mich legte, sich an mich schmiegte und mir einen Arm um die Brust legte.
Ihr Verhalten erstaunte mich maßlos.
Mir kam in den Sinn, dass das vielleicht gar nicht wirklich passierte. Vielleicht träumte ich es ja nur.
Doch Jesse fühlte sich durchaus wirklich an.
Ihre Wärme drang durch meine Kleidung. Ihre Brüste drückten gegen meinen Rücken. Ich konnte ihren Herzschlag und jeden ihrer Atemzüge spüren.
Irgendwann küsste sie meinen Nacken.
»Du tust nur so«, flüsterte sie.
Ich rollte mich herum, drückte sie an mich und küsste ihren Mund.
Doch sie entzog sich mir bald. »Komm ja nicht auf dumme Ideen, Trevor. Da drüben ist es mir einfach nur zu kalt.«
»Ich verstehe«, flüsterte ich.
»Bring mich nicht dazu, mein Bowie-Messer zu ziehen.« Sie hatte die Warnung noch nicht ganz ausgesprochen, als ihre Lippen die meinen versiegelten.
Das mit dem Messer war wohl nur ein Scherz gewesen.
Doch ich wollte nicht riskieren, sie zu verärgern. Wir küssten und umarmten uns eine Zeit lang, aber ich achtete darauf, meine Hände nicht an Stellen wandern zu lassen, wo sie es möglicherweise nicht gern hatte.
Später lag sie ganz still da, das Gesicht in meiner Halsbeuge begraben.
Sie schien eingeschlafen zu sein.
Und irgendwann schlief ich ebenfalls ein.
46
Wir reisen weiter
Als ich am Morgen erwachte, lag Jesse noch an meiner Seite. Sie schlief auf dem Rücken, einen Arm über den Augen, um das Sonnenlicht abzuhalten.
Ich sah mich um. Das Feuer war erloschen. Das beträchtlich zusammengeschrumpfte Maultierfleisch hing wie ein paar lumpige
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