Der Ripper - Roman
er das sagte, füllten sich Trudys Augen mit Tränen. Sie blinzelte, ihr Kinn bebte.
Whittle tätschelte ihr den Kopf. »Aber, aber, es gibt keinen Grund, wegen Papa zu weinen. Er ist jetzt bei seinem Schöpfer - und bei den Fischen.«
Trudy weinte nur noch heftiger, schluchzte und zitterte, während ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen.
Sie tat mir sehr leid. Ich wusste, wie schlimm es war, den Vater auf gewaltsame Weise zu verlieren. Aber das würde nicht annähernd so schrecklich sein wie das, was Roderick Whittle aller Wahrscheinlichkeit nach für sie geplant hatte.
Sie war ein hübsches Ding, kaum älter als zwanzig. Sie sah drall und gesund aus, hatte breite Schultern und Hüften, und ihr schwerer Busen wippte unter dem Nachthemd, da sie bei jedem Schluchzer am ganzen Leib erbebte. Ich ertappte mich dabei, wie ich den Bewegungen zusah, und schaute schnell weg.
Nicht, dass mich ihr Anblick erregt hätte. Nicht nach dem, was ich in Marys Zimmer gesehen hatte.
Ich sah zu, wie Whittle ihr Haar streichelte.
Und fürchtete mich davor, was ihm möglicherweise durch den Kopf ging.
»Wohin geht die Fahrt?«, fragte ich in dem Bemühen, ihn abzulenken.
Er sah zu mir herüber. »Im Moment segeln wir auf der Themse. Der ursprüngliche Zielhafen war Calais. Richtig, Trudy?«
Sie nickte und schluchzte.
»Jedoch lässt meine Kenntnis der französischen Sprache zu wünschen übrig. Ich wäre ziemlich dumm, mich an einen Platz zurückzuziehen, an dem die Einwohner meine Sprache nicht sprechen. Nein, das ist nicht der richtige
Ort für mich. Ich habe vor, stattdessen mein Glück in Amerika zu versuchen.«
»Amerika?«
»Ich bin sicher, du hast davon gehört. Die Kolonien, sagt dir das was?«
»Das ist dreitausend Meilen entfernt.«
»Nicht ganz. Tatsächlich sind es noch ein paar mehr.«
»Wir können zu dieser Jahreszeit nicht den Atlantik überqueren!«
»Oh, aber wir werden es auf jeden Fall versuchen.«
Der Mann war verrückt. Aber das war nichts Neues, zog man in Betracht, was er seinen Opfern angetan hatte. Ich verzichtete darauf, das zur Sprache zu bringen. Stattdessen bemühte ich mich, ganz ruhig zu klingen, als ich ihn fragte: »Ist dieses Schiff für eine solche Reise groß genug?«
»Was glaubst du, wie es zu unserer schönen Insel gelangt ist?«
»Wir haben den Atlantik im Sommer überquert«, sagte Trudy zwischen zwei Schluchzern. »Und Michael hatte … Vater und mich zur Unterstützung. Er kann es nicht … allein schaffen.«
»Was beweist, welche Voraussicht ich walten habe lassen, indem ich Trevor verschonte. Bist du schon mal zur See gefahren?«, fragte er mich.
Ich schüttelte den Kopf.
»Keine Angst. Du begreifst schnell, und wir wissen ja aus eigener Erfahrung, dass du gelenkig und kräftig bist. Du wirst als mein Diener und als Michaels Matrose arbeiten. Zweifellos wirst du deine Pflichten vorbildlich erfüllen.«
Ich dachte darüber nach. Obwohl mir die Vorstellung einer Reise nach Amerika durchaus zusagte, behagte mir
der Gedanke, sie gefangen und in Whittles Gesellschaft an Bord eines Schiffes zurückzulegen, natürlich überhaupt nicht. Ich wollte nach Hause zu Mutter. Mittlerweile war sie vermutlich verrückt vor Sorge. Wenn ich zuließ, dass man mich schanghaite, würde ich einen ganzen Monat auf See verbringen, und sie würde mich für tot oder auf ewig verschollen halten, bevor ich ihr irgendwie eine Nachricht zukommen lassen konnte.
Andererseits musste ich damit rechnen, dass das sowieso niemals geschehen würde.
Der Versuch, den Atlantik im November mit einem Schiff zu überqueren, das vom Bug bis zum Heck nicht länger als sechzig Fuß sein konnte und dessen ganze Besatzung aus mir und einem Fremden namens Michael bestand, würde uns allen vermutlich den Seemannstod bringen.
Falls wir aber das Glück hatten, die Ozeanreise zu überleben, würde Whittle uns in dem Augenblick ermorden, in dem Land in Sicht kam.
Auf gar keinen Fall würde er uns freilassen.
Es sah alles ziemlich hoffnungslos aus. Bis auf eine Sache. Er wollte, dass ich half, und das konnte ich unmöglich gefesselt tun. Vielleicht würde sich irgendwann eine Gelegenheit ergeben, ihn zu überwältigen.
Ich holte meine gebundenen Hände unter der Decke hervor. »Wann soll ich anfangen?«
8
In Fesseln
»Trevor? Trevor?«
Eine liebliche, leise Stimme weckte mich, also war ich doch eingeschlafen. Obwohl ich wusste, dass es nicht Mutters Stimme war, glaubte ich einen kleinen Augenblick lang, zu
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