Der Ripper - Roman
sagte er ihr.
Ich sah, wie wieder etwas Leben in ihren Blick zurückkehrte. »Wird Michael mit uns essen?«
»Nicht nur Michael, wage ich zu behaupten. Er soll einen tüchtigen Seemann anheuern.«
Ich hoffte, er würde stattdessen eine Abteilung Konstabler mitbringen. Oder einen unter der Jacke verborgenen Revolver.
»Ich habe erkannt, dass es Wahnsinn wäre, unsere Atlantiküberquerung ohne zusätzliche Mannschaft in Angriff zu nehmen.«
»Es ist trotzdem verrückt«, sagte ich.
Wieder lachte er nur.
Ich ging in den Salon. Er war mit einer kleinen Bibliothek ausgestattet. Ich fand einen Band mit Erzählungen Edgar Allan Poes, setzte mich und versuchte zu lesen. Es ging nicht. Während der ein oder zwei Tage auf den rauen Wellen des Kanals hatte ich nicht den kleinsten Hauch von Seekrankheit verspürt, aber der Versuch, den Zeilen zu folgen, während das Boot gleichmäßig vor sich hin
schaukelte, brachte mein Frühstück in Wallung. Schließlich gab ich auf.
Ich saß einfach da und ließ meine Gedanken schweifen. Als der Duft von Brot in der Luft hing, packte mich ein derartiges Heimweh, dass ich beinahe geweint hätte. Später taumelte Trudy an mir vorbei. Sie schenkte mir weder einen Blick noch ein Wort, sondern begab sich auf direktem Weg in die Vordeckskabine und warf sich auf ihre Koje. Whittle ging an Deck.
Dort verbrachte er einige Zeit, bevor er wieder nach unten geeilt kam. Er verschloss die Tür zu Trudys Kabine, dann sagte er: »Komm mit. Michael ist wieder da.«
Ich folgte ihm durch die Kombüse, stieg die Stufen hinauf und kam am hinteren Teil der Jacht heraus. Ich erhaschte einen Blick auf das Steuerrad und einige nautische Instrumente, doch nicht sie erregten mein Interesse, sondern der Hafen. Um uns herum ankerte jede erdenkliche Art von Boot und Schiff, und viele von ihnen waren nahe genug, um sie mit ein paar Schwimmstößen erreichen zu können. Die Küste selbst mit ihren Anlegeplätzen und Märkten und Menschenmengen war weniger als eine Viertelmeile entfernt. Das Wasser sah grau und kalt aus, war aber ruhig.
Sollte ich einfach hineinspringen? Ohne jeden Zweifel wäre mir die Flucht gelungen. Ich wäre Whittle endlich für alle Zeiten losgeworden, dem sicheren Ertrinken im Atlantik entgangen und hätte bestimmt einen Weg nach Hause gefunden, wo Mutter vor Freude über meine Rückkehr geweint hätte.
Und Trudy wäre aller Wahrscheinlichkeit nach Whittles Klinge zum Opfer gefallen.
Ich sagte mir, dass er es sowieso tun würde, früher oder später.
Aber wenn er sie meinetwegen umbrachte … ich konnte schon den Gedanken daran nicht ertragen.
Außerdem würde sich früher oder später bestimmt eine Gelegenheit bieten, sie zu retten. Das war unmöglich, wenn ich von Bord sprang.
Das alles schoss mir durch den Kopf, während ich Whittle zum Heck begleitete und wir dort darauf warteten, dass das kleine Boot anlegte. Wie ich später erfuhr, war es ein sogenanntes Skiff, ein besonders leichtes Ruderboot, das ohne Steuermann auskam.
Zwei Männer waren an Bord, also hatte Michael einen Matrosen für die Reise gefunden. Der breitschultrige Bursche kehrte mir den Rücken zu. Eine Naht seines Pullovers war gerissen. Auf dem ungekämmten roten Haar saß eine kecke Tweedmütze.
Der andere Mann hockte mit gesenktem Kopf am Heck. Das konnte nur Michael sein, so dünn und entmutigt wie er aussah.
Das Skiff war schwer beladen mit einem Seesack und allen möglichen Bündeln und Fässern und Säcken.
»Ahoi!«, rief Whittle. Michael hob den Kopf und sah zu uns hoch. Das Boot war noch immer ein ordentliches Stück von uns entfernt, aber nicht so weit, dass mir der teilnahmslose, traurige Ausdruck auf seinem Gesicht entgangen wäre. Er sagte etwas zu dem Ruderer.
Der Bursche sah über die Schulter. Er schien jünger als Michael zu sein, nur wenige Jahre älter als ich. Sein rosiges Gesicht war ziemlich kantig, hatte eine breite Nase und ein energisches Kinn.
»Da hat er doch tatsächlich einen verdammten Iren angeheuert«, murmelte Whittle.
»Vielleicht ist es ja auch ein Franzose«, erwiderte ich.
Er warf mir einen finsteren Blick zu. »Besser als ein irischer Hitzkopf. Dieser Idiot!«
Als das Skiff herantrieb, warfen wir Michael und dem Matrosen Taue zu. Kurz darauf war es ordentlich an der Seite vertäut.
Der Ire lächelte zu uns hoch und legte einen Finger an die schmale Krempe seiner Mütze.
»Und mit wem haben wir die Ehre?«, fragte Whittle leicht verdrossen.
»Patrick Doolan,
Weitere Kostenlose Bücher