Der Ripper - Roman
Michael und Trudy und ihr Vater in Richtung England ausgelaufen waren und welcher Whittle als höchst geeignetes Ziel schien. Die Überfahrt nahm sechsunddreißig Tage und Nächte in Anspruch, schien aber zehn Jahre zu dauern.
Die meiste Zeit über verlief alles nach der gleichen Routine - wenn wir nicht gerade in einen Sturm gerieten. Michael und ich wechselten uns am Ruder ab. Trudy bereitete alle Mahlzeiten zu. Wenn sie nicht damit beschäftigt war, kam sie an Deck und fungierte als Ausguck. Diese Pflicht teilte sich Whittle mit ihr. Wir alle kamen mal an die Reihe, denn keiner von uns war auf eine Kollision mit einem Eisberg versessen. Tatsächlich kreuzten einige der weißen Giganten unseren Kurs, und wir steuerten im großen Bogen um sie herum.
Eine Zeit lang zeigte Trudy Michael die kalte Schulter; vermutlich machte sie ihm zum Vorwurf, dass nicht er in den Ozean gesprungen war, um sie zu retten, sondern ich. Mit mir wurde sie nicht warm. Wenn sie mich nicht gerade herumkommandierte, verhielt sie sich, als wäre ich Luft. Whittle gegenüber war sie stets höflich und folgsam und gab ihm kein einziges Widerwort.
Michael wiederum benahm sich in Whittles und Trudys Nähe wie ein geprügelter Hund. Hätte er einen Schwanz
gehabt, hätte er ihn die meiste Zeit zwischen die Beine geklemmt. Doch segeln konnte er. Sobald keiner außer mir in der Nähe war und er navigieren, steuern, sich um die Segel und die Takelage kümmern oder mir Befehle geben musste, verwandelte er sich wieder in einen Mann. Je schwieriger das Wetter wurde, desto selbstbewusster handelte er. Wenn man Zeuge wurde, wie er uns durch einen Sturm mit Wellen höher als Berge steuerte, wäre man nie auf die Idee gekommen, dass er eine feige Ader hatte. Aber dann ließ ihn ein Blick von Trudy oder Whittle erblassen, und man wollte seinen Augen nicht trauen.
Whittle benahm sich die ganze Zeit über, als wäre alles ein großer Spaß. Er stolzierte wie Long John Silver höchstpersönlich über Deck, ein Messer an jeder Hüfte, und kaum ein Wort kam über seine Lippen, das nicht von einem »Aye, Maat«, oder einem »Ho ho ho« begleitet wurde.
Wo Piraten sich normalerweise mit einer Augenklappe schmückten, trug Whittle eine Nasenklappe. Nachdem die Wunde in seinem Gesicht so weit geheilt war, dass er sie nicht mehr verbinden musste, fabrizierte er eine ganze Reihe von Klappen, die er sich vors Gesicht band. Am einen Tag war es ein kreisförmiges, rotes Stück Seide, am nächsten dann weiße Spitze oder Leder oder Samt oder Tweed. Ich glaube, Trudy besaß kein Kleidungsstück mehr, sei es ein Unterrock, eine Bluse, ein Hut oder gar Schuhe, in dem es kein rundes Loch von der Größe einer Goldmünze gab. Einiges davon trug sie, nachdem Whittle sich darüber hergemacht hatte, und man konnte sehen, wo er das Material für diese oder jene Nasenklappe herhatte.
Hin und wieder, wenn ihm danach war, schob er die Klappe auf die Stirn und verursachte allen Übelkeit.
Doch im Großen und Ganzen legte er ein viel besseres Benehmen an den Tag, als ich es von jemandem seiner Sorte erwartet hätte. Er schubste uns zwar weiterhin herum, und es setzte auch schon mal einen Tritt, aber er quälte keinen von uns so richtig - zumindest, soweit ich weiß.
Jeden Abend nahm er Trudy mit in die Vordeckskabine, verriegelte die Tür und überließ Michael und mir den Salon als Schlafgelegenheit für die Zeit, die wir nicht an Deck waren. Wenn Trudy am nächsten Tag wieder herauskam, sah sie nicht so aus, als wäre sie aufgehängt oder anderweitig misshandelt worden.
Ihr Hals heilte allmählich. Nach und nach fiel der Wundschorf ab, und die Haut um ihre Kehle glänzte rosarot.
Was mich anging, ich benahm mich. Es boten sich genügend Gelegenheiten, Whittle niederzuschlagen oder ihn über Bord zu stoßen, aber ich beherrschte mich. Wann immer sich eine Chance bot, musste ich mir nur ins Gedächtnis zurückrufen, wie er mit Patrick umgesprungen war oder wie er nach meinem misslungenen Erdrosselungsversuch Trudy bestraft hatte. Es gab keine Garantie, dass ihn ein Schlag oder ein Stoß zur Strecke bringen würde, also traute ich mich nicht.
Wenn der Tag ruhig war und ich Zeit hatte, meine Gedanken streifen zu lassen, verspürte ich oft Sehnsucht nach zu Hause. Aber die ganze Zeit wuchs meine Neugier auf Amerika. Ich hatte viele Bücher darüber gelesen. Es klang vielversprechend, und ich musste zugeben, dass es eine Schande wäre, eine so weite Reise zu unternehmen, nur um
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