Der Riss
schlichen hinaus und ließen sich auf die weiche Gartenerde fallen. Jonathan hörte, wie eine letzte Beschwerde abgeschnitten wurde, als Jessica das Fenster schloss, und dachte wieder daran, wie sehr er seine Mitternachtsschwerelosigkeit herbeisehnte. Dann konnte er endlich wieder fliegen, und alle kleinen Schwestern wären starr und stumm.
Und alle Darklinge erwachen zum Leben , fiel ihm ein, als er beim Sprint zum Auto auf seine Uhr sah.
Die Midnight würde kommen, na klar. Viel zu bald.
„Warum musstest du das sagen?“
„Was?“
„Die Sache mit den genau achtzehn Minuten“, sagte Jessica.
„Das war ein bisschen zu offensichtlich, findest du nicht?“
Jonathan zuckte mit den Schultern. Es war 11.42 Uhr, und er konnte Jess gegen Ende der geheimen Stunde zurückfliegen, bis Punkt Mitternacht. Obwohl er verstand, was sie meinte.
Vielleicht war er ein bisschen zu genau mit dem Zeitpunkt gewesen, wann Jessica zurückkommen würde.
Er seufzte, als sie an einem geplätteten Gürteltier auf der Straße vorbeisausten. Den ganzen Nachmittag hatte er sich Dess’ Berechnungen angehört, und sein Gehirn war mit Zahlen vollgestopft. „Was macht das schon für einen Unterschied?“
„Beth fällt allmählich auf, dass Mitternacht wichtig ist.“ Jessica starrte zum Seitenfenster hinaus. „Sie hat gemerkt, dass ich mich immer gegen zwölf zum Gehen fertig mache, und sie fängt an, immer kurz vor der geheimen Stunde aufzutauchen.
Wenn ich sie rausschmeiße, holt sie vielleicht einfach Mom und Dad. Als ob sie Bescheid wüsste. Seit der Nacht, in der ich sie in den Kleiderschrank geschoben habe – genau um Mitternacht.“
Jonathan kicherte. „Vielleicht solltest du sie nicht in Kleiderschränke schieben.“
„Du hast es gut – mit niemandem, außer deinem Vater.
Und der macht keinen Ärger.“
Er zuckte kurz bei den Worten und nahm eine Hand vom Lenkrad, mit der er nach ihrer griff. Sie spielte nervös mit Acariciandote, dem Armband, das er ihr geschenkt hatte. Er brachte ihre Hand zur Ruhe. „Das war von meiner Mom, erinnerst du dich?“
„Ach, entschuldige, Jonathan.“
„Ist schon gut. Sie ist ständig abgehauen, also war’s keine große Überraschung, als sie nicht mehr wiederkam. Aber du kannst von Glück sagen, dass du eine Familie hast.“
Eine Weile sagte sie nichts. „Stimmt.“
Jonathan wünschte sich, er hätte das Thema nicht angeschnitten. Es nützte nie etwas, wenn man über so ein Zeug redete. „Egal, Beth wird wahrscheinlich nicht darauf kommen, dass die Zeit Schlag zwölf stehenbleibt und eine Welt voller Monster auftaucht.“ Jonathan lachte. „Sie ist zwar schlau, aber so schlau ist sie nicht.“
Jessica wandte sich ihm zu. „Eigentlich macht sie dir gar nicht so viel aus, oder? Du magst sie.“
„Na klar. Du nicht?“
„Doch. Aber sie ist meine Schwester. Irgendwie muss ich sie mögen.“
Jonathan kicherte wieder. „Pass auf. Ihr beiden seid zurechtgekommen, bevor ihr hierhergezogen seid, nicht wahr?
Das werdet ihr wieder, wenn Beth sich an die seltsamen Dinge in Bixby gewöhnt hat. Und du hast recht, ich mag sie. Seit du uns einander vorgestellt hast, fühle ich mich nicht mehr ganz so wie ein Stalker, wenn ich herumschleiche.“
Jessica rückte näher und lehnte sich an ihn. „Stimmt, es läuft besser, seit sie dich kennengelernt hat. Ich glaube, sie vertraut dir. Wenigstens hält sie dich nicht mehr für einen Serienkiller.“
Jonathan lächelte, aber sein Lächeln entglitt, als er auf seine Uhr sah: In nur zehn Minuten würde die blaue Zeit eintreffen, und sie waren noch so viele Meilen von Jenks entfernt. Er trat aufs Gas, das alte Auto bebte, während es Geschwindigkeit aufnahm. Heute Nacht hatten sie wichtigere Sorgen als kleine Schwestern.
Sie rasten an einem alten Chevy vorbei, der den Creek Turnpike entlangtrödelte. So weit draußen vor der Stadt waren die Straßen beinahe leer gefegt, weshalb der Wagen seines Vaters für seine alten Freunde von der Polizeistation leicht zu entdecken war. Inzwischen wusste er mit Sicherheit, dass der halbe Bezirk ihn erkennen würde.
Jonathan wusste nicht, was er dann tun sollte. Sich anhalten lassen, weil er die Sperrstunde überschritten hatte, vielleicht wieder eingebuchtet werden und riskieren, dass Cassie Flinders für immer verschwand? Oder ein heißes Autorennen inszenieren, sich von den Cops verfolgen lassen und Jessica und sich selbst in größere Schwierigkeiten bringen, als Beth es sich je hätte
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