Der Riss
sie richtig Angst. Kannibalismus. “
„Aber … “
„Geh!“ Er schob sie durch den Spalt und hoffte, dass sie Mut fassen würde, um tiefer in die Höhle hineinzugehen, weit genug, um den dünnen, hangelnden Tentakeln des Darklings zu entkommen.
Er wirbelte wieder herum, um sich der Kreatur zu stellen, die auf Kampfesnähe an ihn herankroch. Ihre acht Beine hatten ihre volle Länge erreicht, stemmten sich in den Boden, um die Körpermasse in der Mitte in die Luft zu heben. Ihre Beine waren nicht mit Haaren, sondern mit glitzernden Sporen bedeckt, wie Dornen an einem riesigen und fürchterlichen Rosenstrauch. Von dem Biest tropfte überall eine eklige schwarze Flüssigkeit, als ob es in Rohöl gebadet worden wäre.
Rex öffnete und schloss seine leeren Hände, als ihm bewusst wurde, dass er keinerlei Waffen mehr bei sich trug. Er hatte kein Messer, kein Metall an seinen Stiefeln, und wenn er Wörter mit dreizehn Buchstaben schrie, würde er sich selbst mehr wehtun als irgendeinem Darkling.
„Wo bist du bloß, Jessica?“, flüsterte er und wagte einen Blick auf seine Uhr.
Sein Herz sank. Nur sechs Minuten der geheimen Stunde waren vergangen.
Sie würde nicht rechtzeitig hier eintreffen.
Die beiden Vorderbeine des Darklings hoben ab, in der Haltung einer Tarantel, die sich einem Feind stellte. Rex konnte die Fangzähne in seinem öligen Maul sehen.
Er erinnerte sich, wie er im Alter von zehn Jahren gezwungen worden war still zu stehen, während die Taranteln, die sein Vater hielt, über seine nackte Haut krochen. Ihre seltsame Langsamkeit, die fließenden Bewegungen ihrer acht Beine übten eine unwiderstehliche Faszination aus, von der einem schlecht wurde.
Die Stimme seines Vaters rief ihm wieder zu: Entspann dich, Junge! Sie sind nicht giftig. Sie können dir nichts tun. Sei ein Mann!
Haarige Spinnen waren durch jeden einzelnen Albtraum seiner Kindheit gekrochen.
Rex wartete darauf, dass der Darkling zuschlug. Seine beiden Vorderbeine wedelten durch die Luft, wie die Beine eines Hundes, der im Wasser paddelt. Die geschmeidige Bewegung drohte ihn zu hypnotisieren, und er riss sich von dem Anblick los.
Er starrte zu Boden, mit klopfendem Herzen, jeder Muskel war gespannt, bereit, sich auf einen hoffnungslosen Kampf einzulassen. Aber irgendwie, fiel Rex auf, fehlte etwas an seiner Reaktion. Die nagende Angst hatte sich noch nicht in seinem Bauch festgesetzt. Die Spinne macht ihm nicht so viel Angst wie erwartet.
Seit die Darklinge ihn verwandelt hatten, konnte er sich eigentlich an keinen einzigen Traum erinnern, in dem die Taranteln seines Vaters vorgekommen waren. Melissa und er hatten sie umgebracht, als der alte Mann nach dem Unfall hilflos wurde, aber Rex hatte immer gewusst, dass ihre Geister unter seinem Haus lauerten und darauf warteten, Vergeltung zu üben.
Er blickte wieder zu der Spinne auf und merkte, dass der kalte Schweiß aus jenen Kindheitstraumata verschwunden war. Seine Arachnophobie (sein Verstand zuckte wegen der dreizehn Buchstaben des Wortes) war weg.
Noch ein Moment verstrich, und die Kreatur schlug immer noch nicht zu.
Rex zeigte dem Biest seine Zähne, und aus seiner Kehle gurgelte ein Laut hoch – das gleiche Zischen, mit dem er aus Timmy Hudson eine Pfütze geschmolzener Tyrannei gemacht hatte.
Der Darkling vor ihm ließ sich allerdings nicht so leicht erschrecken. Er stand sicher auf seinen sechs Hinterbeinen, seine tanzenden Sporen hypnotisierten nach wie vor, sein Leib glitzerte im Licht des kalten Mondes. Aber eine Sekunde nach der anderen verstrich, und er schlug nicht zu.
Allmählich dämmerte Rex, woran das lag. Das Biest hatte gar keine Kampfhaltung eingenommen – Rex war überhaupt keine Beute. Hier ging es nicht um die Tötung am Ende der Jagd. Hier ging es um ein Ritual zwischen zwei Räubern, wie eine Entscheidung über einen Kadaver. Der Tanz der Spinne war Pose und Angeberei, eine Forderung, in der Hoffnung, ein anderer Räuber würde zurückweichen. Rex war jedoch als Erster hier eingetroffen und konnte die Tötung für sich beanspruchen.
Er blieb standhaft.
Wölfe fraßen schließlich auch keine Wölfe.
Eine ganze Minute lang stellte er sich der Kreatur, ließ sich von den Gefühlen des Wettstreits durchdringen. Seine Finger krümmten sich zu festen Klauen, die langsam durch die Luft fuhren, wie beim Ablauf eines altbekannten Rituals. Weder er noch der Darkling traten vor, gegenseitiger Respekt und Angst hielten sie auf Distanz.
Dann spürte Rex
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