Der Ritter von Rosecliff
geerbt. Doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Wenn Isolde glaubte, in der mächtigen Festung geboren worden zu sein, hatte Rhonwen vielleicht ein Druckmittel gegen Josselyn in der Hand.
»Du hast natürlich Recht Isolde. Du bist die verwöhnte Erstgeborene eines klugen Vaters und einer schönen Mutter, und du verdienst das angenehme Leben, an das du gewöhnt bist. Verglichen mit dir bin ich von niedriger Herkunft, und man sollte dich nicht zwingen, meine Gegenwart zu ertragen. Deshalb werde ich dich jetzt verlassen. Dann kannst du dich weiter in deinem eigenen Glanz sonnen.«
Natürlich wusste sie, wie albern es war, sich mit einem Kind zu streiten, doch Isoldes anhaltende Feindseligkeit ging ihr immer mehr auf die Nerven. Im Augenblick wollte sie jedoch vor allem in Erfahrung bringen, was der Kurier des Burgherrn melden sollte. Auf leisen Sohlen schlich sie die Steintreppe hinab, bis sie Josselyns Stimme hörte.
»... aber wie lange noch?«
Ein Mann räusperte sich, und als Rhonwen um die Ecke spähte, sah sie den Burschen, der nervös seine Kappe in den Händen drehte. »Nicht länger als vierzehn Tage, Mylady. Das schwört er Euch. In spätestens zwei Wochen wird er zu Hause sein.«
»Vierzehn Tage!« Wieder legte Josselyn verstohlen eine Hand auf ihren Bauch, und die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Rhonwen hatte gegen ihren Willen Mitleid, gab ihren Plan auf, heimlich zu lauschen, und ging weiter die Treppe hinab. »Hoffentlich sind es gute Neuigkeiten«, rief sie, damit Josselyn bemerkte, dass sie nicht mehr unter vier Augen mit dem Kurier sprach.
In diesem Moment kam Gavin angerannt. »Ist Vater schon auf dem Weg nach Hause?«
Isolde schritt anmutig und würdevoll wie eine Prinzessin an Rhonwen vorbei die Treppe hinab. »Wir sollten ein Fest anlässlich seiner Rückkehr veranstalten. Was hältst du davon, Mama? Er hat doch auch bald Namenstag.«
»0 ja, ein Fest für Vater! «, rief Gavin begeistert.
Josselyn zog ihre eifrigen Kinder an sich, die sowohl walisisches als auch englisches Blut in sich hatten und von beiden Elternteilen innig geliebt wurden. Welche Zukunft würde ihnen und ihrer kleinen Schwester in Wales beschieden sein, dachte Rhonwen, während sie diese glückliche Familie beobachtete und sich wie ein Eindringling fühlte.
»Komm doch zu uns, Rhonwen!«, rief Josselyn auf munternd. »Aber versuch wie eine Dame zu gehen Kopf hoch, Schultern zurück.«
Kopf hoch, Schultern zurück ... Josselyn hatte leicht reden. Als Tochter eines walisischen Führers war ihr ein sicheres Auftreten von früher Kindheit an beigebracht worden, und Isolde hatte ihre Arunut geerbt. Doch Rhonwen schwor sich, das alles auch zu lernen.
Eine der schweren Eichentüren flog auf, und Jasper betrat die Halle mit flatterndem Umhang und großen Schritten. »Welche Nachrichten gibt es von Rand?« Er schaute von dem Kurier zu seiner Schwägerin. »Geht es ihm gut?«
Rhonwen erstarrte auf der Treppe. Sobald dieser Mann einen Raum betrat konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Was hatte er nur so Besonderes an sich? Es gab andere attraktive, muskulöse, selbstbewusste Männer. Doch nur dieser Eine übte eine solche Faszination auf sie aus. Dass sie ihn in den letzten Z ei Tagen nicht gesehen hatte, verstärkte nur noch ihr rasendes Herzklopfen.
Isolde rannte sofort zu ihm hin, und er strich ihr zerstreut Übers Haar. Rhonwen beobachtete wie hypnotisiert seine Hand, bis sie bemerkte, dass das Mädchen ihr einen triumphierenden Blick zuwarf.
Kopf hoch, Schultern zurück, langsam gehen, rief sie sich ins Gedächtnis und schritt die Treppe hinab, als würde ihr die Burg und ganz Nordwales gehören. Befriedigt stellte sie fest dass Jasper aufhörte, Isolde zu streicheln und sie bewundernd anstarrte.
Ihr Glück währte freilich nicht lange, denn sie stolperte über das viel zu lange elegante Kleid, das Josselyn ihr gegeben hatte, fiel die letzten drei Stufen hinab und landete schmerzhaft auf Händen und Knien. Doch viel mehr schmerzte die Demütigung!
»Hast du dich verletzt?«, rief Josselyn erschrocken.
»Nein«, murmelte Rhonwen und verschmähte Jaspers Hilfe beim Aufstehen. Er runzelte die Stirn und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Josselyn zu.
»Welche Neuigkeiten gibt es von Rand?«, fragte er noch einmal.
Sie setzte sich, und alle folgten ihrem Beispiel. »Er hat Lamonthes Festung gestern verlassen - Gott sei Dank! jetzt macht er aber noch einen Abstecher nach Oaken Hill.« Sie
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