Der Rosenmord
niemand am Ufer wundert sich über ein vorbeifahrendes Schiff, eines unter vielen auf dem Severn. Der Gürtel, zu dem dieses Ding gehört, kann ihr entrissen worden sein, um sie zu fesseln.«
»Daß sie so gemein behandelt wurde!« Niall wischte seine großen Arbeiterhände an einem Lumpen auf seiner Werkbank ab, löste seine Lederschürze und legte sie daneben. »Was sollen wir jetzt tun? Sagt mir, wie ich helfen kann, wo ich suchen muß. Ich werde mein Geschäft schließen -«
»Nein«, erwiderte Cadfael. »Ihr bleibt an Ort und Stelle.
Bewacht nur den Rosenstrauch, denn ich habe das eigenartige Gefühl, daß das Leben der Pflanze mit dem Leben der Frau in inniger Verbindung steht. Was könntet Ihr tun, das Hugh Beringar nicht schon unternommen hätte? Er hat genug Männer, und Ihr dürft mir glauben, er wird darauf achten, daß sie sich bei der Suche Mühe geben. Bleibt hier und übt Euch in Geduld. Ihr sollt alles erfahren, was ich entdecke. Euer Geschäft ist die Bronze, nicht die Flußfahrt. Ihr habt Euren Teil getan.«
»Und Ihr? Was wollt Ihr jetzt tun?« Niall hielt stirnrunzelnd inne, unzufrieden mit der passiven Rolle, die Cadfael ihm nahelegte.
»Ich werde zu Hugh Beringar gehen und danach zu Madog, der alles über Schiffe weiß, von seinem Fischerboot bis zu den Lastkähnen, die unsere Wolle transportieren. Anhand des Abdrucks im Schlamm kann Madog mir vielleicht sagen, was für ein Boot es war. Bleibt Ihr nur hier und seid beruhigt. Mit Gottes Hilfe werden wir sie finden.«
Von der Türe aus blickte Cadfael noch einmal zurück, aufmerksam geworden durch das gespannte Schweigen in seinem Rücken. Der Mann, der so wenig Worte machte, blieb auch jetzt still, starrte in die Ferne zu einem unsichtbaren Ort, an dem Judith Perle bezwungen und allein stand, hilflos einem gierigen, brutalen Menschen ausgeliefert. Selbst ihre guten Taten kehrten sich nun gegen sie, selbst ihre Großzügigkeit war jetzt wie Gift, das ihr Leben bedrohte. Das sonst so beherrschte, ausdruckslose Gesicht sprach in diesem Augenblick Bände. Wenn diese großen, geschickten Hände, die mit den winzigen Pfannen und Gußformen so geschickt umgehen konnten, die Kehle des Menschen zu fassen bekämen, der Judith Perle entführt hatte, dann würden die Richter des Königs, dachte Cadfael, als er zur Stadt zurückeilte, ganz bestimmt keinen Henker mehr brauchen, und das Gerichtsverfahren würde nicht viel Geld kosten.
Nachdem Cadfael am Stadttor berichtet hatte, daß der Sheriff am Fluß gebraucht werde, schickte der Wächter sofort einen Burschen zur Burg hinauf, um Hugh zu suchen. Es dauerte eine Weile, bis der Sheriff gefunden wurde, und Cadfael nutzte die Wartezeit, um seinerseits Madog mit dem Totenboot zu suchen.
Falls Madog nicht draußen auf dem Wasser war und einem seiner zahlreichen Geschäfte nachging, wußte Cadfael genau, wo er ihn finden konnte. Im Windschatten der westlichen Brücke, über welche die Straße in sein Heimatland Wales führte, hatte Madog eine Hütte. Dort machte er auf Bestellung Fischerkähne oder Holzboote. Er angelte, beförderte Menschen oder Waren gegen eine Gebühr und kümmerte sich um alles, was mit dem Transport auf dem Wasser zu tun hatte. Da es kurz nach Mittag war, hielt Madog nach einem einsamen Mahl gerade ein kurzes Mittagsschläfchen, als Cadfael die Brücke erreichte. Ein untersetzter, muskulöser, behaarter und nicht mehr ganz junger Waliser ohne Verwandte war er, der niemand brauchte, und sich seit der Kindheit immer selbst genug gewesen war, der aber seine wenigen Freunde stets offen und herzlich begrüßte. Er brauchte niemand, aber wenn andere ihn brauchten, war er zur Stelle.
Hugh war vor ihnen am Stadttor. Gemeinsam überquerten sie die Brücke, gingen zum Wasser hinunter und traten in den kühlen Schatten unter dem Brückenbogen.
»Hier im Schlamm«, erklärte Cadfael, »fand ich dieses Ding, gewiß im Kampf abgerissen. Es stammt von einem Gürtel, der Frau Perle gehört. Niall der Bronzeschmied hat erst vor ein paar Tagen eine passende Schnalle angefertigt, und dies war das Muster, das er als Vorlage nahm. Es gibt keinen Zweifel, er versteht sein Handwerk. Und hier hat jemand ein Boot ans Ufer gezogen.«
»Wahrscheinlich gestohlen«, überlegte Madog, während er die tiefe Rinne im Erdreich betrachtete. »Warum für einen solchen Raub das eigene Boot benutzen? Wenn jemand das Boot mit seiner Last sieht und mißtrauisch wird, dann führt die Spur in die falsche Richtung. Es war
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