Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rosenmord

Der Rosenmord

Titel: Der Rosenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
Vom Netzwerk:
Wald.
    Sie kannte ihn gut genug, um nichts weiter zu erwarten, und kehrte ins Haus zurück, als er zwischen den Bäumen verschwunden war. Er hatte zugehört und würde darüber nachdenken. Das Leben als Tochter eines respektierten Handwerkers in der Stadt, die einiges zu erben hatte und den gesellschaftlichen Umgang mit anderen Menschen lernen mußte, war zwangsläufig ganz anders als das einer Aufseherstochter auf dem Lande. Ihr Zukünftiger mußte aus einer ganz anderen Gruppe von Bewerbern ausgesucht werden, ihre Erziehung sollte sie auf einen ganz anderen Haushalt mit ganz anderen Pflichten vorbereiten. Ihrem Alter voraus, mochte das Kind sogar zu glauben beginnen, daß ein Vater, der von ihr getrennt lebte, sie nicht wirklich wollte, sondern sie nur aus Pflichtbewußtsein besuchte. Jung war sie wirklich, zu jung, um in ein Haus aufgenommen zu werden, in dem keine Frau für sie sorgen konnte. Wenn es doch nur etwas Hoffnung auf diese verwitwete Frau gäbe, über die er sich ausschwieg! Oder auf eine andere anständige Frau mit einem warmen Herzen, kühlem Kopf und Geduld genug für die beiden!
    Niall wanderte in der dunkelgrünen Nacht, die voll schwerer, reicher Düfte war, über den schmalen Pfad zwischen den Bäumen. Die Stimme seiner Schwester klang in seinen Ohren nach. Hier war der Wald dicht und stark gewachsen und der Boden so schattig, daß es kaum Unterholz gab. Die verflochtenen Zweige droben sperrten das Licht aus. Manchmal führte der Pfad ein kurzes Stück weiter durch offenes, höheres Gelände, wo die Bäume dünner standen und Heideflecken sich breitmachten. Immerhin war dieses Gebiet der Nordrand des großen Waldes, aus dem sich die Leute legal oder illegal Holz holten und wo sie ihre Schweine mit Eicheln und Bucheckern mästeten. Größere Siedlungen gab es nicht, unterwegs würde er kaum mehr als ein paar kleine Kotten sehen, bevor er den Weiler Brace Meole etwa auf halbem Wege nach Hause erreichte.
    Bei diesem Gedanken hielt er einen Augenblick inne.
    Vielleicht käme er schneller voran, wenn er auf einem anderen Pfad nach Osten abböge, um schon ein Stück vor Brace Meole die Hauptstraße zu erreichen – falls die Wagenspur durch den Wald überhaupt den Namen Hauptstraße verdiente. Jeder Weg und Umweg dieser Reise war ihm vertraut. Der Weg, an den er jetzt dachte, kreuzte den, auf dem er im Augenblick ging. Die Stelle, wo sich die beiden Pfade trafen, war eine kleine offene Lichtung, der einzige freie Platz in einem dichten Streifen Waldland.
    Dort angekommen, blieb er einen Augenblick unschlüssig stehen und nahm die Stille der Nacht in sich auf. Doch plötzlich wurde das Schweigen durch kleine, sich ständig wiederholende Geräusche durchbrochen. In der Windstille klang jeder Ton, so leise er auch war, verblüffend laut. Instinktiv zog Niall sich von der offenen Lichtung in die Deckung der Bäume zurück und lauschte mit gerecktem Kopf und gespitzten Ohren, um die Geräusche zu deuten.
    Fast immer waren irgendwelche Nachttiere in der Dunkelheit unterwegs, aber sie raschelten leise und verstohlen auf dem Boden herum und erstarrten, sobald sie in der Nähe einen Menschen witterten, da Menschen ihre Feinde waren. Diese Geräusche brachen jedoch nicht ab, sondern kamen sogar allmählich näher; das dumpfe, schwere, aber etwas gedämpfte Tappen von Hufen auf dem tiefen Waldboden. Von der Straße kam das Pferd in raschem Schritt näher, begleitet vom leichten Rascheln und Rauschen der elastischen Zweige, die sein großer Körper streifte. Das sommerliche Wachstum hatte seinen Höhepunkt erreicht, die Bäume griffen mit frischen, zarten Trieben von beiden Seiten über den Weg.
    Was hatte ein Reiter an diesem Ort und zu dieser Stunde, und nach dem Klang der Schritte offenbar schwer beladen, zu suchen? Niall blieb, wo er war, gut verborgen zwischen den Bäumen, und starrte zur Lichtung hinaus, wo noch ein wenig graues Licht war. Es gab keinen Mond, und ein hoher, leichter Wolkenschleier lag zwischen der Erde und den Sternen – eine Nacht für dunkle Unternehmungen. Herrenlose Männer wagten sich selten näher als zehn Meilen an Shrewsbury heran, und das Schlimmste, mit dem er rechnen mußte, war vielleicht ein Wilddieb. Doch immer war Schlimmeres denkbar. Seit wann gingen Wilddiebe ihrem Geschäft beritten nach?
    Auf der rechten Seite erschien zwischen den dunklen Mauern des Waldes ein verschwommener bleicher Umriß. Die jungen Blätter streiften über den Rumpf eines Pferdes und den Arm eines

Weitere Kostenlose Bücher