Der Rosenmord
Boden gerichtet, auf dem Gunnar mit eifrigen Schritten die einzig sichtbaren Fußabdrücke zwischen Tür und Luke hinterlassen hatte.
»Nein, Mylord – nichts.« Die zuvor so laute, selbstsichere Stimme klang jetzt gespannt, wachsam und verhalten. »Ich kenne den Mann. Warum wollte er nur Vliese stehlen? Er ist doch gut versorgt – er war … und er ist tot!«
»Ertrunken, Gunnar. Ja.«
»Möge Gott seiner Seele gnädig sein!« sagte Gunnar langsam und leise, eher zu sich selbst als zum Sheriff. »Ich kannte ihn. Gott weiß, daß weder ich, noch irgend jemand, den ich kenne, Bertred etwas Böses wollte.«
Wieder gab es ein Schweigen. Es war, als hätte Gunnar den Raum verlassen und sich an einen anderen Ort zurückgezogen.
Die eisblauen Augen waren verhangen, als hätte er einen Vorhang davor zugezogen. Kurz darauf riß er sich aus seiner Versunkenheit und fragte gleichmütig: »Seid Ihr hier fertig, Mylord? Darf ich alles wieder verschließen?«
»Das dürft Ihr«, entgegnete Hugh ebenso knapp. »Ich bin hier fertig.«
Auf dem Rückweg zur Stadt waren sie beide schweigsam und nachdenklich. Plötzlich bemerkte Hugh: »Wenn Judith wirklich in diesem staubigen Loch gesteckt hat, dann hat jemand sich große Mühe gegeben, alle Spuren zu verwischen.«
»Bertred hat es geglaubt«, erwiderte Cadfael. »Natürlich kann er sich geirrt haben. Gewiß war er dort, um sie zu befreien, aber er kann sich geirrt haben. Er wußte von dem Raum, er wußte, daß der Raum nicht allgemein bekannt war und deshalb zu einem solchen Zweck benutzt werden konnte.
Und er wußte, daß der junge Hynde als Entführer sehr wohl in Frage kam, da er eitel und hartnäckig ist und dringend Geld braucht, um seinen aufwendigen Lebenswandel zu halten. Aber war es mehr als eine Vermutung? Hat Bertred etwas entdeckt, das die Vermutung für ihn zur Gewißheit machte?«
»So viel Staub!« sagte Hugh. »Keine Fußspuren außer Gunnars, jedenfalls keine, die ich sehen konnte. Und der junge Bursche, dieser Vivian – ich wußte bereits, daß er heute morgen aufgebrochen ist. Will hat es mir berichtet. Also ist niemand mehr da außer der Mutter. Ob sie lügen würde? Er würde es doch seiner Mutter kaum verraten, wenn er eine Frau versteckt hielte. Wenn er nach der nächtlichen Aufregung das Mädchen an einen anderen Ort gebracht hat, dann doch kaum zu seiner Mutter. Ich werde trotzdem das Haus noch einmal aufsuchen. Bertred hat wohl sein Glück auf die Probe gestellt – und dabei hat es ihn im Stich gelassen. Kein Glück bei den Rosen, kein Glück bei der Rettung. Kein Glück bei allen seinen Plänen.«
Wieder ein langes Schweigen, während sie hinter dem Stadttor die Steigung nahmen und sich der Zufahrt zur Burg näherten. »Und er hat es nicht gewußt!« sagte Hugh. »Er hat es wirklich nicht gewußt.«
»Was hat er nicht gewußt? Und wer?«
»Dieser Gunnar. Vorher hatte ich noch meine Zweifel. So selbstbewußt und sicher, so gleichmütig, bis der Todesfall erwähnt wurde. Da war ich sicher, daß es ihm neu war. Er hat sich nicht verstellt. Was meint Ihr, Cadfael?«
»Ich sage, daß Gunnar jederzeit lügen könnte, wenn er es für nötig hält. Aber in diesem Augenblick hat er nicht gelogen.
Seine Stimme hat sich ebenso verändert wie sein Gesicht.
Nein, er wußte es nicht. Er war zutiefst erschüttert. An welchen Missetaten er auch beteiligt war, mit einem Todesfall hat er nicht gerechnet. Und ganz bestimmt nicht damit, daß Bertred der Tote ist!« Sie hatten die Zufahrt erreicht und blieben stehen.
»Ich muß zurück«, erklärte Cadfael, indem er zum Himmel aufblickte, der im beginnenden Zwielicht verschleiert und weich wurde. »Heute können wir nichts mehr tun. Aber was habt Ihr morgen vor?«
»Morgen«, antwortete Hugh nachdenklich, »werde ich Vivian Hynde zu mir rufen, sobald er in die Stadt kommt. Ich will sehen, was ich aus ihm über das alte Kontor seines Vaters herausbekomme. Nach allem, was ich über ihn weiß, dürfte er leichter einzuschüchtern sein als dieser Gunnar. Selbst wenn er völlig unschuldig ist, kann ihm ein kleiner Schreck nicht schaden.«
»Und Ihr werdet bekanntgeben«, fragte Cadfael, »daß zumindest Bruder Elurics Mörder entlarvt und tot ist?«
»Nein, noch nicht. Vielleicht überhaupt nicht. Die arme Frau soll ihren Frieden haben, bis ihr Sohn unter der Erde ist.
Welchen Sinn hat es, eine Schuld hinauszuposaunen, wenn es keine Sühne mehr geben kann?« Hugh starrte stirnrunzelnd ins Leere. Er
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