Der Rosenmord
kleinen Hufe auf der festgetretenen Erde im Durchgang hörte, fuhr sie herum. Sie stieß einen hohen, schrillen Schrei aus, wollte schon auf ihre Herrin zurennen, während sie staunend und freudig zu lachen begann, doch dann besann sie sich, machte abermals kehrt und rannte ins Haus, um Agatha, Miles und alle Diener herbeizurufen, damit auch sie sehen konnten, wer da gerade gekommen war. Hals über Kopf kam Miles aus dem Haus gestürzt. Sein Gesicht erhellte sich, und mit offenen Armen kam er gerannt, um seine Cousine zu umarmen.
»Judith … Judith, du bist es! Oh, meine Liebe, wo warst du nur so lange? Wo warst du nur? Wir haben geschwitzt und uns gesorgt und in jedem Graben und in jeder Gasse nach dir gesucht. Bei Gott, ich fürchtete schon, ich würde dich nie wiedersehen. Wo warst du nur, was ist geschehen?«
Kaum hatte er ausgesprochen, da war seine Mutter zur Stelle, übersprudelnd vor tränenvollen Beteuerungen und Dankgebeten, da ihre Nichte gesund und munter wieder daheim war. Judith ließ geduldig alles über sich ergehen und schenkte sich die Antworten einstweilen, bis ihnen die Fragen ausgingen. Unterdessen waren auch alle Spinnerinnen draußen im Hof, die Weber hatten die Webstühle verlassen. Ein Dutzend gleichzeitig sprechender Menschen verwandelte den Hof in ein Babel, in dem sie ohnehin nicht verstanden worden wäre. Die Freude fuhr durch das Trauerhaus wie ein frischer Wind und ließ nicht einmal nach, als Bertreds Mutter herauskam und wie die anderen starrte.
»Es tut mir leid«, erklärte Judith, als der Sturm einen Augenblick innehielt, »daß Ihr Euch solche Sorgen um mich gemacht habt. Das war nicht meine Absicht. Aber Ihr seht ja, daß ich wohlauf bin, also macht Euch keine Sorgen mehr. Ich werde Euch nicht wieder verlorengehen. Ich war in Godric’s Ford bei Schwester Magdalena, die so freundlich war, mich auf dem Rückweg zu begleiten. Tante Agatha, würdest du ihr ein Bett richten? Schwester Magdalena wird bei uns übernachten.«
Agatha blickte zwischen Nichte und Nonne hin und her, während ein leises Lächeln um ihre Lippen spielte und ihre blauen Augen etwas verschlagen glänzten. Das Mädchen war mit ihrer Ratgeberin aus dem Kloster zurückgekehrt. Gewiß hatte ihre Sehnsucht nach Frieden und Verzicht auf die Welt die Oberhand gewonnen. Warum sonst war sie zu einer Benediktinerklause geflohen?
»Von Herzen gern!« sagte Agatha eifrig. »Schwester, Ihr seid willkommen. Bitte, kommt doch ins Haus, ich will Euch Wein und Haferkuchen auftischen, denn Ihr müßt nach dem Ritt müde und hungrig sein. Verfügt über uns und unser Haus, wir stehen alle in Eurer Schuld.« Selbstbewußt wie eine Schloßherrin übernahm sie die Führung. In den drei Tagen, dachte Cadfael, der sich etwas abseits hielt und beobachtete, hatte sie sich recht gut an die Rolle der Hausherrin gewöhnt.
Nun fiel es ihr schwer, die neue Gewohnheit wieder abzulegen.
Judith wollte ihr folgen, doch Miles legte ihr eine Hand auf den Arm und hielt sie zurück. »Judith«, flüsterte er ihr drängend und ängstlich ins Ohr, »du hast ihr doch nichts versprochen?
Der Nonne? Du hast dich doch nicht überreden lassen, ins Kloster zu gehen?«
»Bist du wirklich so dagegen, daß ich ins Kloster gehe?« gab sie zurück, während sie ihn nachsichtig musterte.
»Nicht, wenn du es wirklich willst – aber warum bist du zu ihr gelaufen, wenn du nicht …«
»Nein«, entgegnete sie. »Ich habe nichts versprochen.«
»Aber du bist zu ihr gegangen – nun gut!« sagte er und schüttelte seine Sorgen ab. »Tu nur das, was du wirklich willst.
Komm, laß uns hineingehen!« Er wandte sich ab, um einen Weber zu rufen, der den Müller und die Maultiere versorgen und unterbringen sollte. Dann scheuchte er nicht unfreundlich die Spinnerinnen an ihre Spinnräder zurück. »Bruder, kommt herein, seid uns willkommen. Weiß man in der Abtei schon Bescheid, daß Judith heimgekehrt ist?«
»Ja«, sagte Cadfael. »Man weiß es. Ich bin nur mitgekommen, um ein Geschenk mitzunehmen, das Schwester Magdalena für unsere Marienkapelle mitgebracht hat. Und ich habe im Auftrag von Frau Perle auf der Burg zu tun.«
Miles schnippte mit den Fingern, sofort wieder ernst werdend.
»Mein Gott, ja! Der Sheriff kann die Jagd abblasen, die Suche ist vorbei. Aber – Judith, ich habe es ganz vergessen! Hier ist einiges geschehen, das du sicher noch nicht weißt. Martin Bellecote ist mit seinem Jungen hier. Geh nur nicht in die kleine Kammer, dort wird
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