Der rostende Ruhm
mit sich bringt. Ministerialrat Wollny saß gebrochen neben dem Bett seiner Frau und war zu keiner Handlung mehr fähig.
Es war die gleiche Stunde, in der Professor Bergh ahnungslos in Schloß Hainaue Brigitte Teschendorff gegenübersaß und stolz sagte:
»Du hast die Schlacht verloren! Ich habe vor der Welt bewiesen, was ich kann!«
Die Notoperation fand in fast völliger Stille statt.
Oberarzt Dr. Werth machte die Choledochotomie, Dr. Thoma überwachte die Intubationsnarkose, zwei junge Assistenten standen Dr. Werth zur Seite, Oberschwester Cäcilia reichte die Instrumente mit der gewohnten Schnelle und den vorausahnenden Griffen des Operateurs an.
Über allen stand der Gedanke an den Artikel im ›Wiener Morgengruß‹. Er war wie ein Alptraum. Hatte dieser Artur Sporenka wirklich recht gehabt? War Professor Bergh nur ein Blender, ein Theoretiker, dem die Erfahrung von fünfzehn Jahren Weiterentwicklung in der Chirurgie fehlte? Dieser vergessene Choledochus war ein Kunstfehler. Er durfte nicht vorkommen. Auch nicht, wenn dies in anderen Kliniken schon vorgekommen war – ein Professor Bergh, ein Träger der Hippokrates-Medaille, ein Chef seiner Art, ein Genie, konnte sich keinen Irrtum leisten.
Oberarzt Dr. Werth hatte die Gallenwege wieder freigelegt. Er wagte keine revolutionären Eingriffe – er operierte konservativ, nach der guten alten Schule, auf Sicherheit gehend und peinlich genau.
Was er sah, war erschreckend.
Der Stein hatte sich durch die Koliken so festgeklemmt, daß ein einfaches Ausräumen keinen Sinn mehr hatte. Dr. Werth sah es sofort und schaltete in seinem Eingriff um.
»Choledocho-Duodenostomie. Seit-an-Seit-Anastomose.«
Dr. Thoma sah von seinem Narkosegerät hoch. Sein Blick traf Dr. Werth, der in diesem Moment auch zu ihm hinübersah. Wenn das Bergh sähe! dachten sie beide. Wir können von Glück reden, wenn wir Frau Wollny durchbekommen. Jetzt heißt es, um das Leben zu kämpfen!
Dr. Thoma verstand den Blick seines Oberarztes. Kein Wort wird aus der Klinik hinausdringen an die Öffentlichkeit. Niemand wird es erfahren! Hier geht es nicht mehr um Bergh, sondern um den Ruf des Hauses. Hier geht es um uns alle. Auch ein Genie ist nur ein Mensch und kann sich irren. Und wenn er zweimal oder sechsmal oder zehnmal irrt … Um einen Heros zu stürzen, muß erst ein Jahrhundert mit ihm untergehen …
Ministerialrat Dr. Wollny hatte seine Schwäche überwunden. Er stand am Fenster des Einzelzimmers, starrte in den sonnendurchleuchteten Garten und wartete auf Professor Bergh. Oberarzt Dr. Werth hatte versprochen, ihn sofort suchen zu lassen und zur Klinik zu bitten.
»Ein Nichtskönner!« sagte Wollny laut zu sich selbst. »Die Presse schrieb es schon! Ein Pfuscher! Aber ich werde es ihm zeigen! Ich werde …«
Er stützte sich auf die Fensterbank und drückte die heiße Stirn gegen die etwas kühleren Scheiben. Im Garten spazierten die Rekonvaleszenten, wurden einige Rollstühle von jungen Schwestern in die schattigen Buschgruppen gerollt, harkten zwei Gärtner die Wege und die Wiesen vom Fluglaub sauber. Ein friedliches Bild von Ordnung, Sauberkeit und Stille.
Und zwanzig Meter weiter lag eine Frau auf dem OP-Tisch und vier Ärzte rangen um ihr wegflatterndes Leben.
Weil ein berühmter Mann einen Fehler gemacht hatte. Weil er so berühmt geworden war, daß er die natürlichen Grenzen seines Könnens überschritt in dem Wahn, der Ruhm allein gebe Kraft und Beflügelung genug, die eigenen Mängel zu ersticken.
Das Operations-Team hatte die Seit-an-Seit-Amastomose gerade begonnen, als das Telefon im Vorbereitungsraum schellte. Die junge Schwester, die dort die Instrumente steril kochte, nahm den Hörer ab, wurde blaß und warf den Hörer hin. Sie riß die Schiebetür zur Seite und rief in den Operationsraum:
»Der Chef ist eben ins Haus gekommen!«
Dr. Werth arbeitete weiter, als habe er nichts gehört. Auch Dr. Thoma nahm keine Notiz von dem Zuruf. Nur die beiden jungen Assistenten wurden einen Augenblick unsicher.
»Halten Sie die Klemmen ruhig!« fauchte Dr. Werth.
Er war dabei, mit Einzelknopfnähten extramuskulös zweischichtig zu anastomieren, als Prof. Bergh mit flatterndem Mantel und zerzausten weißen Haaren, als sei er in einem offenen Wagen gefahren, in den Vorbereitungsraum stürzte. Er stieß die junge Schwester, die etwas zu ihm sagen wollte, einfach zur Seite, warf seinen Mantel ab, starrte durch die trennende Glaswand auf den OP-Tisch und auf die gebeugten Köpfe
Weitere Kostenlose Bücher