Der rostende Ruhm
Dr. Werths und der jungen Ärzte.
»Handschuhe! Mantel! Wird's bald!« Flüchtig wusch er sich, ließ sich die Handschuhe überziehen und rannte dann, mit offenem Kittel, zum Tisch. Dr. Werth trat zur Seite und reichte ihm die Instrumente hin.
Es war selbstverständlich. Im Operationsraum war der Chef der alleinige Herrscher.
Bergh beugte sich über die Anastomose. Es war nichts mehr zu tun. Die Nähte waren bis auf drei beendet, die Gefahr war gebannt. Wenn der Kreislauf Frau Maria Wollnys durchhielt, wenn kein Duodenalinhalt in das System der tiefen Gallenwege einströmte, wenn es keine nachwirkende Cholangitis gab, war das Leben gerettet worden.
Wenn …
Professor Bergh trat vom Tisch zurück und machte seinen Platz für Oberarzt Dr. Werth frei.
»Machen Sie weiter, Herr Werth«, sagte er heiser. »Sie haben Ihr möglichstes getan. Ich – ich danke Ihnen …«
Mit einem prüfenden Blick auf Dr. Thoma, der diesem Blick standhielt und sich vorkam wie ein Niedergestochener, wandte sich Bergh ab und verließ den OP. In der Tür aber drehte er sich noch einmal um und rief zurück: »Berichten Sie Herrn Wollny über den Eingriff, Herr Werth.«
»Ja, Herr Professor.«
Dr. Werth begann, die Operationswunde zu schließen. Selbst dazu ist er zu feig, dachte er erschrocken. Mein Gott, was ist das für ein Mensch?! Wie soll das bloß weitergehen?! Noch ist es innerhalb dieser Wände – aber wenn es nach draußen zu einem Zusammenbruch des ärztlichen Vertrauens führen …
Bergh ging nicht durch die Station zu seinem Zimmer. Er hätte dabei am Zimmer Frau Wollnys vorbei müssen. Er fuhr vielmehr mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock und ging von dort über eine Seitentreppe in den Cheftrakt.
»Lassen Sie niemanden zu mir«, sagte er zu seiner Sekretärin. »Niemanden! Ohne Ausnahme!«
Dann schloß er sich ein und lehnte sich mit brennenden Augen gegen die Tür. Das Zimmer vor ihm kam ihm feindlich vor. Unheimlich. Der große Leuchtkasten an der Wand, dem Schreibtisch gegenüber. Die Röntgenbilder von Maria Wollnys Galle waren noch eingespannt.
Auf dem Tisch lag der Operationsbericht, sauber vom Sekretariat abgeschrieben, bereit abgeheftet zu werden, nachdem der Chef ihn unterzeichnet hatte.
Cholezystektomie in Elektrokoagulation mit plastischer Netzdeckung.
Bergh nahm den Operationsbericht und warf ihn in den Papierkorb. Dann riß er die Röntgenbilder aus dem Leuchtkasten und warf sie hinterher. Er war wie ein Rasender – er lief Amok gegen sich selbst. Er hatte die unbändige Lust, sich aufzureißen und dann auch wegzuwerfen.
Mit schleppenden Schritten ging er zu dem Spiegel in der Waschecke seines Zimmers. Er knipste die Leuchtstoffröhre über dem Spiegel an und sah hinein.
Ein schmales, bleiches, übernächtiges Gesicht mit zerwühlten weißen Haaren. Eine funkelnde, goldene Brille. Er nahm sie ab und sah seine glanzlosen, stumpfen Augen. Müde Augen, unendlich müde.
»Ich kann es doch!« sagte er leise zu seinem Spiegelbild. »Bei Gott – ich kann doch operieren! Ich habe doch vor fünfzehn Jahren alle diese Sachen gemacht. Ich habe doch … Ich kann es doch. Ich weiß es!«
Er schloß die Augen und drückte die Stirn gegen den Spiegel. Die Kühle der Scheibe durchdrang ihn, als sterbe er ab, und durch seine Adern jagte das Herz pulsend einen Strom von Eiswasser.
Auf seine Ärzte konnte er sich verlassen, das wußte er. Auch auf die Schwestern. Auch auf die Krankenpfleger. Sie würden schweigen.
Aber welch ein Schweigen war das! Ein Schweigen des Mitleides, des Bedauerns, vielleicht sogar der Scham!
Ein Schweigen, das er sich mit zusammenbrechender Autorität erkaufte. Ein Schweigen, für das es zwanzig Erpresser geben konnte. Ein Schweigen, das ihm das Skalpell aus der Hand nahm und ihn zu einem Aushängeschild degradierte.
Berghs Kopf fuhr zurück. Er starrte sein Spiegelbild an. Der Kopf eines Sterbenden, diagnostizierte er den Anblick.
»Nein!« sagte er laut. »Nein! Ich kann es ja! Ich weiß, daß ich es kann! Ich überschätze mich nicht. Und ich gebe nicht auf! Ich will beweisen, wer ich bin! Ich will beweisen, daß ich – daß ich …«
Er hob die Faust. Aber im letzten Augenblick siegte die Beherrschung. Er zerschlug den Spiegel nicht und nicht das verzerrte Gesicht, das ihn anstarrte.
Wenige Minuten später verließ er schnell die Klinik.
Er fuhr in die Gerhardus-Gasse. Zum Haus Nummer hundertvierundneunzig.
Zu Gabriele Orth.
Er wußte keinen anderen Weg mehr, als den zu
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