Der rostende Ruhm
auf. Sein junges Gesicht war wie verschleiert. »Eine akute postoperative Peritonitis!«
»Aber wie ist das denn möglich?« stöhnte Dr. Werth. »Wir waren doch alle dabei! Es ist nichts unterlassen worden! Es ist doch völlig unmöglich …«
»Und doch ist sie da! Der Kreislauf ist völlig darnieder. Hohes Fieber, hochgradiger Meteorismus – die Blutuntersuchung muß gleich zurückkommen. Das Blut muß mit Bakterien überschwemmt sein …«
Oberarzt Dr. Werth beugte sich über den etwas ruhiger werdenden Moosbaur. Er tastete die Bauchdecke ab. Sie war gespannt wie ein Trommelfell. Es gab keine andere Diagnose.
»Sollen wir den Chef anrufen?« fragte Dr. Thoma.
»Erst Dr. Czernik. Lassen Sie unterdessen alles vorbereiten.«
Dr. Werth rannte hinaus und rief Dr. Czernik an. Er mußte etwas warten, denn Czernik saß in der Badewanne und mußte erst herangeholt werden.
»Es ist etwas Schreckliches passiert!« keuchte Dr. Werth. »Unsere Nephrektomie hat eine Peritonitis bekommen! Wir müssen sofort eine Relaparotomie machen! Wenn es nicht schon zu spät ist!«
Dr. Czernik schien erschüttert zu sein. Seine Antwort kam nach langem Zögern und sehr leise.
»Weiß Bergh es schon?«
»Nein. Ich habe zuerst Sie angerufen. Wir beide haben assistiert. Es ist doch kein Fehler unterlaufen! Wir hätten es ja sehen müssen!«
»Gut. Ich komme sofort! Ich operiere mit Ihnen! Und Bergh sagen wir nichts!«
»Aber wir müssen ihn doch verständigen!«
»Nichts müssen wir! Er wird es morgen erfahren – wenn alles vorbei ist, so oder so …«
Czernik hängte ab. Oberarzt Dr. Werth rannte zurück in den OP. Dr. Thoma und das wachhabende Operationsteam wusch sich bereits. Wortischek, der im Haus schlief, stand im Schlafanzug, darüber seinen weißen Kittel, am OP-Tisch und schnallte den in der Narkose noch tobenden Moosbaur fest. Er mußte dabei seine ganze, bestimmt nicht geringe Kraft anwenden, um Herr über den zuckenden und sich aufbäumenden Körper zu werden.
Czernik traf in der Klinik ein, als Werth gerade mit dem ersten Bauchdeckenschnitt beginnen wollte. Er stürzte zum OP-Tisch und drückte den aufgetriebenen Leib.
»Das ist doch völlig ausgeschlossen!« sagte er, fahl im Gesicht. »Wir haben doch alles genau gemacht. So etwas kann doch gar nicht vorkommen! Die ganze Bauchhöhle war doch frei! Es kann einfach nicht sein.«
»Im Blut finden sich Streptokokken und vor allem Kolibakterien«, sagte Dr. Thoma leise.
»Kolibakterien?« Dr. Czernik starrte ungläubig auf den gestrafften Leib Moosbaurs. »Mein Gott – wenn das wahr ist, was ich denke …« Er sah zu den Ärzten und legte beide Hände auf den Bauch des Kranken. »Wir werden Bergh nichts davon sagen. Kein Wort wird aus diesen vier Wänden herausdringen! Ich verpflichte Sie alle, meine Herren und auch die Schwestern, daß über das, was jetzt hier geschehen wird, strengstes Stillschweigen zu herrschen hat. Wenn der Patient den Tisch wieder verläßt – lebend oder …«, er stockte und sprach dann heiser weiter, »werden wir alle diesen Eingriff vergessen. Es ist nichts gewesen, meine Herren! Es war ein blinder Alarm. Ein postoperativer Kollaps, den wir mit Herzmitteln aufhalten konnten. Weiter nichts! Wir verstehen uns, meine Herren?«
Die Ärzte nickten stumm. Es war ein Versprechen, und Czernik wußte, daß keiner dieses Versprechen brechen würde.
»Fangen wir an«, sagte Czernik hart.
Dr. Werth öffnete die Bauchdecke. Schon bei diesem ersten Schnitt quoll ihnen ein jauchiger, kotiger Geruch entgegen. Czernik nickte mehrmals. Das mußte es sein, dachte er. Nur das kann es sein. Meine stille Diagnose wird richtig sein.
Armer Bergh – seine ganze Genialität scheiterte an einem mikroskopisch kleinen Nadelstich in eine Dickdarmwand.
Czernik öffnete mit einem kleinen Schnitt das Bauchfell. Im Inneren der Bauchhöhle schwabbte eine jauchige, eitrige Flüssigkeit und verpestete nach der Eröffnung die Luft im OP.
»Sauger!« sagte Czernik laut. Schnell muß es gehen, dachte er. Ganz schnell. Wie sagte der große Arzt Murphy: »Schnell hinein! Schneller heraus!« Schlürfend begann der Sauger zu arbeiten.
Oberarzt Dr. Werth und Dr. Thoma arbeiteten schnell, aber mit äußerster Vorsicht. Sie wußten, daß jedes unnötige Anpacken der Därme, jegliches Abreiben oder Zerren und vor allem eine Abkühlung der Därme zu nicht mehr aufhaltbaren Komplikationen führen konnte. Da die Darmwand bereits verletzt sein mußte und die bakterielle
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