Der rostende Ruhm
siebzehn Minuten war Clemens Moosbaur gerettet.
Was jetzt kam, war der Kampf seiner eigenen Natur gegen die Krankheit. Bevor Czernik die Bauchhöhle schloß, gab er große Dosen Aureomycin intraperitoneal. Dann legte er einen Drain in die Bauchdecke, um sich neubildendes Exsudat sofort ablaufen zu lassen. Die Kochsalzinfusion wurde angeschlossen.
Erschöpft, schweißüberströmt, mit plötzlich zitternden Fingern, die nicht mehr dem übermäßig angespannten Willen gehorchten, trat Czernik vom OP-Tisch zurück.
»Wir haben alles getan, was wir konnten«, sagte er in die Stille hinein. Dr. Werth vernähte die Bauchwunde. Czernik riß den Mundschutz ab und zog die Gummihandschuhe aus. Er atmete laut und mit erhobenen Armen tief ein und aus, als habe er nahe am Ersticken gestanden.
»Und jetzt gehe ich zu Bergh.«
Dr. Werth unterbrach die Naht. »Was wollen Sie ihm sagen?«
»Die Wahrheit!«
»Ich dachte, wir wollten über alles schweigen?«
Dr. Czernik band die Gummischürze ab und warf sie in eine Ecke. Sein poröses Hemd, das er darunter trug, klebte an seinem Körper. Mit dem Abbinden der Gummischürze hatte er das Gefühl, plötzlich zu frieren. Er drückte die Arme eng an die Seiten.
»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte er hart. »Und ich glaube, auch Gründe für diese Gesinnungsänderung zu haben.«
Er hat mich blamiert, dachte er. Bergh hat bewiesen, wie nahe Können und Versagen beieinander liegen. Und er hat es an mir bewiesen!
Ein widerlicher Gedanke setzte sich in Dr. Czernik fest. Wie wäre es, wenn Bergh diesen winzigen Darmeinstich bewußt gemacht hätte? Die Schauoperation hatte er von Beginn an abgelehnt, er hatte sich dagegen gewehrt, bis er vor dem narkotisierten Moosbaur stand und operieren mußte! Hatte er mit vollem Wissen der Konsequenzen den Darm eingeritzt, um ihn, den staatlichen Kommissionär Dr. Czernik, zu einem Mitschuldigen werden zu lassen?
»Guten Morgen, meine Herren!« sagte er laut. Dann verließ er den OP, wusch sich hastig im Vorbereitungsraum und fuhr von der Klinik ohne Umwege zu Professor Dr. Bergh.
Er traf ihn beim gemütlichen Kaffeetrinken an, die Zeitung mit den Berichten über seine Schauoperation lesend. Er warf die Zeitung auf den Tisch, als Czernik eintrat.
»Willkommen!« rief Bergh und streckte beide Arme aus. »Haben Sie die Presse gelesen? Es scheint, als ob Sie wirklich recht mit Ihrer Schaustellung hatten!«
»Es scheint nur so«, sagte Czernik ernst. »Ich komme geradewegs aus der Klinik. Wir haben Moosbaur soeben nachoperiert und vom Tode gerettet …«
Wortlos setzte sich Bergh. Sein Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. Er starrte Czernik an und rang und würgte an den Worten, die ihm in die Kehle kamen. Endlich stieß er sie hinaus – tonlos und doch erschreckend klar in der Stille des Raumes.
»Bringen Sie mir mein medizinisches Todesurteil?« Und Dr. Czernik schwieg. Es war die klarste Antwort.
Es fiel nicht auf, daß Brigitte Teschendorff an diesem Nachmittag vor dem Haus Baron v. Boltensterns vorfuhr. So verschieden die Ansichten zwischen Josef Teschendorff und Boltenstern waren, sosehr sie in einer stillen Gegnerschaft im Kuratorium des Krankenhauses verharrten – privat verstanden sie sich gut und hatten den Konnex sehr guter Bekannter miteinander.
Boltenstern hatte Brigitte bereits erwartet. Er trat hinter der Gardine weg, von wo er die Straße beobachtet hatte, kontrollierte noch einmal die angewärmten Cognacgläser und den temperierten Cognac, überflog mit einem Blick das Arrangement von Blumen und Gebäck, das den runden Kamintisch zierte, und legte noch schnell ein Scheit Birkenholz auf das leise prasselnde und zischende Feuer, ehe er zur Tür rannte und sie öffnete, bevor Brigitte schellen konnte.
»Meine Göttin!« sagte er leise, aber enthusiastisch.
Brigitte schüttelte mit ihrer entwaffnenden Nüchternheit den schmalen Kopf.
»Sind Sie verrückt, Baron?«
»Der Diener hat Ausgang, das Zweitmädchen ist im Kino – wer sollte es hören?«
»Ich!«
»Wer wollte sich wehren, eine Göttin zu sein?« Baron v. Boltenstern zog Brigitte an der Hand in das Haus und schloß die Tür. Im Spiegel der Garderobe sah Brigitte, wie er die Tür noch mit einem Kettenriegel absicherte. Ein böses Lächeln glitt über ihre schmalen, blutrot geschminkten Lippen.
»Ich lasse mich nicht gern fesseln …«
»Es ist nur ein Schutz vor Überraschungen, Gnädigste.«
»Meine Überraschungen kommen nicht durch die Tür.« Sie nahm
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