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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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mehr öffnen ließ, die brennende Fürstenstraße entlang. Es schien unmöglich, jetzt vorwärtszukommen.
    Kein Mensch zeigte sich mehr, und nun stürzten auch schon laut krachend und zerberstend ganze Dachaufsätze, Balkons und Gesimse auf die Gehsteige. Als ich aber dann feststellte, daß der Dachstuhl und die oberste Etage dieses Hauses schon in Flammen standen, machte ich Jack, der noch zögerte, Mut, mir durchs Feuer zu folgen. Das war eine wirklich gewagte Sache. Die Funken versengten uns, und der Asphalt war so heiß, daß wir die Glut durch unsere Schuhsohlen spürten. Vor uns lief ein deckenumhüllter Mann einsam durch die Röte der Brände. Manchmal fegten plötzlich vom Sturm getriebene Funkengarben um die Häuserecken auf uns zu, dann gab es wieder eine kleine Oase und nur glühendes Gebälk.
    Nur unter der Zusammennahme alles Mutes erreichten wir endlich den Comeniusplatz, den rufende, suchende und fliehende Menschen füllten. Wir schauten nach den Bänken, auf denen meine Frau mit den Kindern gesessen hatte, und fanden sie von anderen Flüchtlingen eingenommen. Nur eine leere Selterflasche lag noch dort, und niemand vermochte uns Auskunft über den Verbleib einer Frau mit drei Kindern zu geben. Noch loderten neben den Bänken Phosphorbrände auf dem Boden.
    Ganz, ganz leise und viel zu spät begann es zu regnen. Aber was sollte noch Wasser gegen diese knatterndenFeuersbrünste, dieses Meer von Bränden ausrichten können? Wir irrten kreuz und quer über den Platz bis zum Eingang des Großen Gartens hin, liefen fortwährend rufend die Stübelallee auf und ab, ohne die Unseren zu finden. Einmal stand uns ein aus dem nahen Zoo entwichener Hirsch gegenüber.
    Wir setzten uns wartend auf eine Bank und sahen einen von einer Brandbombe getroffenen Baum lichterloh wie eine Fackel brennen. Uns wurde kalt, zumal der Regen nun zunahm, und wir suchten Unterschlupf in einem Haus, das durch eine Sprengbombe zwar mancherlei Schaden genommen hatte, aber wenigstens noch nicht brannte. Im Keller hockten viele Menschen dicht beieinandergedrängt, und wir fanden nur mit Mühe und Not ein bescheidenes Plätzchen. Kaum aber hatten wir ein wenig ausgeruht, so erschien jemand von droben und rief in den Keller:
    »Gnädige Frau, die Galerie brennt!«, worauf sich die Besitzerin an alle, die hier Unterschlupf gefunden hatten, wandte und meinte, daß es besser sei, das Haus zu verlassen, so gern sie es auch zur Verfügung stellte, denn an Löscharbeiten sei nicht zu denken.
    Also zogen wir wieder davon. Ich bemerkte, daß indessen bereits das gesamte Obergeschoß in Flammen stand, die gierig weiterfraßen. Nur eine einzige Villa in der Nähe war verschont geblieben, und es erwies sich, daß es ausgerechnet die des Reichsstatthalters Mutschmann war, eines der Hauptschuldigen an dieser Katastrophe, der sich im Garten einen schönen, festen Bunker hatte errichten lassen, während Hunderttausende Dresdner keinen Schutz besaßen und elendiglich umkamen.
    An der Hauptallee des Großen Gartens sah ich das Palais in der Ferne in seltsam tiefer Röte brennen, und als ich später erfuhr, wie viele Unglückliche darinnen umgekommen waren, wußte ich, daß es Menschenleiber waren, die dort verschmorten. Überall sperrten gefällte große Baume und schwere Äste die Wege. An einer Stelle war von einem der stürzenden Bäume eine ganze Gruppe von Flüchtlingen erschlagen worden. Überall lagen Leute in den Büschen, trotz des Regens, manche auf dem nackten, feuchten Boden, andere zwischen Bündeln und Betten. Nur konnte man nicht genau feststellen, ob es Tote oder Lebende waren. Vergeblich suchte ich mit Jack, der keinen Mantel besaß, eine Raststätte bis zum Morgen zu finden. Aber überall nur Trümmerstätten und brennende Häuser, bis wir endlich an der Karcherallee in den Garten eines halbzerstörten Hauses eindrangen, das allerdings schon von Ausgebombten überbesetzt war. Trotzdem blieben wir und errichteten eine primitive Bank unter einer Holzlaube. Danach verstaute ich erst mal die Malutensilien in dem Rucksack. Zwei Frauen, die zu uns stießen, gaben uns einige Schluck Weißwein, und eine dritte Frau mit einem Kinde brachte die Bank zum Zusammenbrechen. Ich schlang meinen dicken Mantel um Jack, der nun erschöpft einnickte. Allerlei Gedanken gingen mir durch den Sinn, meine brandverrußten Augen schmerzten fürchterlich.
    Welch eine sonderbare Situation war das doch: Der Geruch, die stöhnenden Leute, der in der Ferne brennende

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