Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Vaters um Leben und Gesundheit seiner Kinder; denn der Kreuzchor ist nicht nur Rudolf Mauersbergers Lebenswerk, sondern auch sein Lebensinhalt. Diese Einheit von Chor und Kantor, diese Sorge um seine Sängerknaben trieben ihn zur Kreuzschule; doch, soweit man herankommen und sehen konnte, war die Schule eine brennende Fackel und großenteils ineinandergestürzt.
Dresden Der Oberzahlmeister Gerhard Erich Bähr 1 894–1975
Lang auf dem Rücken lagen wir auf dem dürren Grasboden der kleinen Eichwiese. Hildegard fand in ihrer Tasche die Tafel Schokolade, die ihr ihre Schwester vom letzten Bestand am Nachmittag gegeben hatte. Seit Monaten war das nicht geschehen und sie wußte nicht mehr, wie es gekommen war, daß sie sie eingesteckt hatte. Alles andere war ja im Keller geblieben. Auch die 3000 Mark, die sie früh von der Bank geholt hatte. Die Schokolade gab uns wieder Lebenskraft.
Auf einmal merkte ich, daß die Baumriesen des Großen Gartens anfingen zu stürzen. Sie brannten zwar nicht, aber die Hitze des Riesenfeuers der Großstadt hatte sie so ausgedörrt, daß es einen nach dem anderen umlegte. Die Gefahr eines Waldbrandes war erschreckend.Wir mußten schleunigst wieder heraus und rafften uns mit Mühe auf. Längs der Stübelallee stapften wir weiter. Alle die großen Prachtvillen brannten einsam und verlassen. Es war schaurig. Quer über die große Wiese am Neuteich mußten wir weg, obwohl alle paar Meter Blindgänger und Brandbomben aus dem Boden ragten. Auch die Picardie war schon ausgebrannt. Immer weiter, immer weiter, nur fort, nur heraus aus dem Stadtbereich, denn es konnte ja jeden Augenblick ein dritter und endgültiger Angriff kommen. Wie wir später erfuhren, war uns dieser auch zugedacht gewesen. Die dritte Angriffswelle ist aber vom Sturm behindert umgekehrt.
Ängstlich war ich noch einmal unter der halbeingestürzten Eisenbahnunterführung am Bastei-Platz, wo wir uns besonders vor Zeitzündern fürchten mußten. Endlich waren wir durch und in Strahlen. Dort war schon wieder Ruhe und nichts wesentliches passiert. Die Leute schliefen schon wieder, als ob nichts geschehen wäre. Uns trieb es weiter, denn wir hatten noch keine Ruhe. Bis hinauf nach Leubnitz-Neuostra zu den alten Eltern von Hildegards Freundin Trude Pommer, die dann am 14. beim Mittagsangriff noch so schrecklich umkam. Lunzes waren sehr durcheinander, nahmen uns aber mit voller Hilfsbereitschaft auf, so daß wir zu Tode erschöpft, verdreckt und völlig abgestumpft erst mal wieder ein Dach über dem Kopf hatten. Das war das vorläufige Ende.
Dresden Otto Griebel 1895–1972
Von der mir verbliebenen Habe nahm ich einen Pappkarton, der Farbtuben und Malmittel enthielt, an mich.
Des weiteren steckte ich zwei Flaschen Selter in den Rucksack und übergab Jack die gerettete Malleinen- Rolle, welche ein kostbarer Besitz war.
Neben uns benetzten sich einige Hausbewohner, ehe sie den Keller verließen, die Kleider aus einer Wassertonne. Ich feuchtete mein Taschentuch mit Selter an und betupfte meine vom Brand und Qualm arg schmerzenden Augen. Dann stiegen wir als vorletzte auf die Straße empor und merkten nun, daß im Hausflur bereits eine wahre Backofentemperatur herrschte, die es nicht ratsam erscheinen ließ, nochmals die Wohnung aufzusuchen. Außerdem drängte mich das Verlangen, meine Angehörigen wiederzufinden. Auf dem Dache zuckte die rote Lohe bereits herüber. Ich wußte nun, daß alles, was ich schuf und besaß, verloren war und ebenso im Feuer unterging wie unser geliebtes Dresden mit all seiner Pracht, seinen Schätzen und Menschen.
Arm wie ein Bettler und mit versengten Sachen wandte ich mich vom Hause fort, und mein Trost blieb, daß die Tages- und Jahreszeiten unbeirrt kommen und gehen, daß die Wiesen wieder grünen würden und alles einst auch wieder gut werden müsse. »Mut verloren, alles verloren«, ging es mir durch den Sinn. Ich nahm Jack an meine Seite, und nun versuchten wir, die Funkengarben und Feuerstöße, welche ein unheimlicher Sog durch die Straßen trieb, zu durchrennen. Aber weit kamen wir nicht. Nach einer kurzen Weile schon betraten wir ein noch stehendes Haus und wurden in eine Parterrewohnung eingelassen, in der zwei ältliche Leutchen verzweifelt bemüht waren, die herein fliegenden Funken zu löschen. Wir halfeneinige Zeit wacker mit. Ich nahm etwas Selterwasser und tupfte immer wieder meine entzündeten Augen. Einmal schaute ich durch die Haustür, welche sich durch den Sog und Sturm kaum
Weitere Kostenlose Bücher