Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
wirkliche Nachtruhe gibt es nicht mehr. Die letzten schweren Luftangriffe haben sich besonders gegen Städte in Sachsen gerichtet. Am 13. Februar abends sah ich am nächtlichen Himmel in südöstlicher Richtung einen gewaltigen Feuerschein, der von einem riesigen Brand in einer großen Stadt herrühren mußte, aber wo? Gestern unternahm ich einen erfolglosen Versuch, zu meiner Mutter zu reisen. Ich kam mit dem Frühzug nur bis Sangerhausen und saß dort fest. Kein Zug fuhr in Richtung Magdeburg, und es war auch keine Auskunft vom Bahnpersonal zu erhalten; das Eisenbahnwesen schien völlig zerrüttet gewesen zu sein. Ich mußte meine Reise aufgeben, so leid es mir auch tat. Weil ich erst am Abend nach Erfurt zurückreisen konnte, hatte ich viele Stunden Aufenthalt in Sangerhausen und vertrieb mir die Zeit damit, in der Stadt umherzuwandern und den durchziehenden Flüchtlingstrecks zuzusehen, die aus der Provinz Posen oder Westpreußen kamen. Es handelte sich um bäuerliche Bevölkerung, die sich mit pferdebespannten, hoch mit Hausrat beladenen Wagen auf die Flucht vor den Russen begeben und Schweres erlebt hatte. Die Pferde
waren abgetrieben und entkräftet; nur Alte und Frauen mit kleinen Kindern durften noch auf den Wagen Platz nehmen; die anderen Familienmitglieder liefen nebenher, frierend, verhärmt und vor Müdigkeit schwankend. Drei bis vier Wochen waren diese Unglücklichen und heimatlos Gewordenen schon auf der Landstraße, oft im Freien kampierend und dies bei der strengen Kälte im Januar. Ihr Ziel war Mitteldeutschland, wo sich alles zusammendrängt. Ab und an trieb mich der Alarm in einen Luftschutzkeller, in dem die Menschen dicht an dicht hockten, oder ich saß in dem danebenliegenden überfüllten Gasthof, wo Durchreisende und Flüchtlinge aus Ost- und Westdeutschland genau so wie ich auf die Möglichkeit einer Weiterfahrt warteten, die meisten in stumpfer Resignation. Mit einigen kam ich ins Gespräch, aus dem ich ihre Nöte und Stimmung erfuhr. Sie wünschten alle ein sofortiges Kriegsende herbei, selbst wenn es ein Ende mit Schrecken wäre, damit die unerträgliche Not aufhöre. Es geht jetzt wie ein Erwachen durch unser Volk, das sich keine Illusionen mehr macht. Wie Schuppen fällt es den meisten von den Augen, sie erkennen klar, daß der Krieg endgültig verloren ist und daß sie von den Naziführern belogen und betrogen worden sind. Keine noch so geschickte Propaganda wird daran etwas ändern können. Mein Zug fuhr am Abend mit viel Verspätung nach Erfurt ab. Auf freier Strecke gab es mehrmals langen Aufenthalt, wenn wir überflogen wurden; um Mitternacht kam ich erst zu Hause an. Ich konnte mich aber nicht zu Bett legen, sondern mußte sofort den Keller aufsuchen und dort die halbe Nacht verbringen. Auch heute nimmt der Alarm kein Ende; wir sind alle todmüde.
Berlin Martin Bormann 1900–1945
mittags neuer Angriff auf Dresden
nachm. M.B. R mit Hummel, Lammers, danach Kaltenbrunner.
Dresden Gerhart Hauptmann 1862–1946
Donnerstag
Furchtbarer Untergang des geliebten, göttlichen Dresden noch im Gange: Sturm und Feuerraserei: So ziemlich die ganze Stadt in Flammen, armes Sachsen, arme Menschheit.
Wie schleicht die Zeit, wie schleichen die Stunden. Es war zehn Uhr morgens als wir nach Alarm a[us] d[em] Keller stiegen. Nur angenehmes sonst im Agnetendorfer Bad in dieser Zeit, vor dem friedlich wohltätigen Frühstück.
Zürich Julius Marx 1888–1970
An Georg Kaiser
Lieber Herr Kaiser, falls Sie, wie ich hoffe, wieder wohlauf sind, würde ich mich freuen Ihnen morgen einen guten Kaffee brauen zu dürfen. Samstag und Sonntag bin ich in Bern, Dienstag & Mittwoch muß ich beim Umzug in der Tönistraße helfen, wäre aber nur am Montag wieder frei & wahrscheinlich auch nur von drei bis fünf Uhr.
Sollten Sie morgen kommen können, dann bitte ich um Ihren Anruf zwischen ein & zwei Uhr (2590 75) Herzlichst Ihr Julius Marx
Pacific Palisades Thomas Mann 1875–1955
1/2 9 Uhr auf. Nicht ausgeschlafen. Mühsam, etwas an XXV gegen das Ende. Rundgang in der Nähe, bei kühlsonnigem Wetter. Mittagessen ohne Mädchen, etwas festere Kost. Zeitschriften. Nach dem Thee Besuch bei den alten Riebers zum Dank für Obst und Candies. Nachher den Brief an Mrs. Meyer beendet. Nach dem Abendessen (mühsam) Brief an Knopf diktiert in Sachen des von ihm gewünschten Vorworts zu The Law, das ich ablehne. Guter Artikel über Rußland in Common Sense. – Neue Bombardements von Dresden und
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