Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
weil er die Klinge zu hoch gepackt hatte, dort wo sie nicht mehr stumpf war. Außerdem hatte er sich den Knöchel verdreht und musste mehrfach blinzeln, damit er die Welt, die sich um ihn herum drehte, wieder klar sehen konnte.
Die Kreatur zuckte noch immer, also rammte er ihm die Spitze seines Schwertes in das Auge, das er am leichtesten erreichen konnte.
Der Schein des Feuers im Hof wurde von dem Bauch des zweiten Lindwurms zurückgeworfen.
Vierzig Bogenschützen feuerten Pfeil nach Pfeil auf ihn ab, sodass es wirkte, als würden neue Funken zu dem vom Feuerschein erhellten Ungeheuer aufsteigen. Und dann geschah etwas – nicht so plötzlich wie der Stoß eines Bolzens, sondern langsam. Die Flügel des Lindwurms rissen auseinander, bekamen Löcher, er verlor an Höhe und kreischte vor Angst, als ihn die Männer herunterholten. Die Bestie erkannte, dass es von dem tödlichen, von unten aufsteigenden Stahlregen kein Entkommen gab. Sie sackte tiefer und tiefer, schlug noch heftiger mit den Flügeln, drehte sich ruckartig um, und plötzlich versagte die eine mächtige Schwinge. Das Ungetüm schlug mit solcher Gewalt gegen die Hügelflanke, dass der Hauptmann spürte, wie die Stufen unter seinen Stiefeln erzitterten.
»Ausfall!«, brüllte der Hauptmann – das heißt, er wollte es brüllen, aber er brachte kaum mehr als ein Krächzen heraus. Doch er wurde verstanden, und seine acht gerüsteten Ritter öffneten das Tor und preschten bereits die Straße hinunter, angeführt von Pampe.
Als es im Hof still wurde, wurde offenbar, dass zwanzig Menschen gestorben waren, und viele waren schrecklich verstümmelt worden. Ein Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren schrie entsetzlich, und die Frau, die das Fass geworfen hatte, bückte sich und nahm es in den Arm.
Ein anderes Kind versuchte sich mit den Armen über den Boden zu ziehen, denn es hatte keine Beine mehr.
Plötzlich strömten die Nonnen aus ihrem Dormitorium – zehn, zwanzig, fünfzig Frauen, die sich in einem Aufruhr aus grauer Wolle und hellem Leinen ausbreiteten, um die Toten, die Verwundeten und die Traumatisierten zu zählen. Der Hauptmann sackte gegen eine Wand; sein rechtes Bein war ein stetiger Schmerzstrom, und er wünschte sich, er könnte einfach bewusstlos werden.
Das Mädchen schrie noch immer. Er richtete den Blick kurz auf sie und bemerkte erst jetzt, dass der größte Teil ihres oberen Torsos verschwunden war. Er konnte einfach nicht glauben, dass es noch lebte und in der Lage war zu schreien. Die Frau, die ihm das Leben gerettet hatte, war ganz bedeckt mit dem Blut des Mädchens – sie glänzte regelrecht. Da war nichts mehr zu machen.
Er wünschte sich, das schreiende Mädchen würde einfach sterben.
Zwei Nonnen wickelten es nun in ein Laken, das sie gar nicht so schnell um es herumwinden konnten, wie der Stoff rot wurde. Das Mädchen hörte nicht auf zu schreien und wurde eins mit dem Chor der Qualen, der die Nacht erfüllte.
Er kämpfte sich auf die Beine und stolperte zu Michael hinüber, der zusammengekrümmt neben der Kapelle lag.
Der Junge lebte.
Er sah sich nach Amicia um. Vorhin hatte sie genau dort gestanden, wo jetzt die junge Frau schrie. Aber sie war verschwunden. Er rief nach einer Schwester – nach irgendjemandem –, und dann kamen gleich vier herbeigelaufen. Vorsichtig fuhren sie mit den Händen über ihn und hoben ihn von Michael weg.
Nun hörte er auch die Stimmen von Männern. Ihre Rufe klangen triumphierend durch die Schmerzensschreie, aber er beachtete sie nicht und schleppte sich zu Tom hinüber.
Der saß gegen die Stallwand gelehnt. »Mein Rückenpanzer hat den Schlag abbekommen«, sagte er mit einem Grinsen. »Bei Christus, ich hab schon gedacht, jetzt ist es aus mit mir.« Er deutete auf das Schwert. »Netter Einfall, das.«
»Halbschwert gegen Lindwurm«, sagte der Hauptmann. »Eine Standardübung. Aber nur die besten Lehrer unterrichten sie.« Er zog sich die Reste seines linken Handschuhs aus und wickelte sie fest um seine Verletzung. »Ich brauche aber noch mehr Übung.«
Tom kicherte. »Ich nehme an, Pampe hat den anderen umgebracht«, sagte er und deutete auf die jubelnden Bogenschützen.
Im nächsten Augenblick ritt der Ausfalltrupp durch das Tor und schleifte den toten Lindwurm am Kopf hinter sich her. Er war von etwa fünfzig Pfeilen zu Fall gebracht worden und unter den Lanzenspitzen gestorben, ohne einen einzigen Menschen verletzt zu haben.
Tom nickte. »Das war gute Arbeit, Hauptmann.«
Der
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