Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Hofdamen und sogar die Ritter auf den Sitzen unter ihr wärmte.
Heute sah der fremde Ritter recht oft zu ihr hinüber, so wie es ihr zustand.
Wieder warf sie einen Blick auf den König. Im Vergleich zu dem Fremden wirkte er klein und ein wenig schäbig. Seine Knappen waren die besten im ganzen Lande, doch er liebte seinen alten roten Waffenrock und seine schon so oft erneuerte Rüstung, die zu einer Zeit in den Bergen weit hinter dem Meer geschmiedet worden war, als gehärteter Stahl hierzulande noch unbekannt gewesen war. Seitdem wurde sie von seinem Waffenmeister immer wieder sorgfältig hergerichtet. Er liebte seinen alten roten Sattel mit den silbernen Spangen, und auch wenn sie schwarze Striemen auf dem Leder hinterließen, war es noch immer ein guter Sattel. Während der ausländische Ritter von Kopf bis Fuß neu eingekleidet und glänzend erschien, wirkte der König deutlich älter – abgenutzter.
Auch sein Pferd war kleiner. Der König nannte es Pater Jerome, und es hatte bereits fünfzig Turniere sowie ein Dutzend wirklicher Kämpfe hinter sich. Zwar besaß der König andere, jüngere Pferde, aber in den Kampf zog er immer auf Pater Jerome.
Der Herold und der Turniermeister riefen die beiden Ritter zum Wettkampf auf. Es war ein freundschaftliches Spiel; die Speere waren entschärft. Desiderata sah, wie Gaston, der Vetter des ausländischen Ritters, ein paar Worte zu dem König sagte und mit einer Verneigung auf seinen Hals deutete.
Der König lächelte und wandte sich ab.
»Er trägt keinen Ringkragen unter dem Halsschutz«, sagte ihr Ser Driant ins Ohr. »Der junge Gaston fragt nach dem Grund dafür und bittet den König, er möge ihn anlegen.« Er nickte anerkennend. »Sehr ordentlich. Sein Mann will hart kämpfen, und er möchte nicht angeklagt werden, den König verletzt zu haben. Ich würde genauso handeln, wenn mich der König herausgefordert hätte.«
»Der König hat ihn nicht herausgefordert«, sagte Desiderata.
Ser Driant schenkte ihr einen merkwürdigen Blick. »Da habe ich allerdings anderes gehört«, erwiderte er. »Aber ich vermute, der König wird ihn auf den Kies stoßen, und dann ist es vorbei.«
»Man sagt, der Ausländer sei der beste Ritter der Welt«, erwiderte die Königin ein wenig kalt.
Ser Driant lachte. »Das sagt man über jeden hübschen Ritter«, meinte er und sah Ser Jean an, der gerade mit einem Sprung aufsaß und seine Lanze entgegennahm. »Dieser Mann ist so groß wie ein Riese.«
Die Königin verspürte ein steigendes Unbehagen, wie sie es beim Anblick kämpfender Männer nie zuvor verspürt hatte. Sie saß auf ihrem Platz und spielte ihre Rolle. Es war ihre Pflicht, unparteiisch zu sein, wenn die gerüsteten Männer gegeneinanderprallten, und danach würde sie den besseren auszeichnen müssen. Vor allem musste sie vergessen, dass der eine ihr Liebhaber und König war und der andere ein ehrgeiziger Ausländer, der sie indirekt angeklagt hatte, unfruchtbar zu sein.
Sie sollte nur die Würde der Kämpfer bewerten.
Aber als die beiden Männer ihre Pferde rechts und links der Barriere aufstellten, spürte sie, wie sich ein Band um ihr Herz legte. Der König hatte vergessen, um ihre Gunst zu bitten, und sie hätte fast den Schal gehoben, den sie in der Hand hielt.
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal zwei Männer hatte kämpfen sehen, ohne einem von ihnen – oder vielleicht beiden – vorher ihre Gunst zu erweisen.
Ser Jean trug einen fremdartig wirkenden Helm, eine runde Kesselhaube mit tief heruntergezogener Stirnplatte und einem schweren, hundeschnauzenartigen Visier und einem Kreuz Christi, das in Gold und Messing eingelassen war.
Der König trug einen spitz zulaufenden Helm, der für die Albier typisch war und ein ebenfalls spitzes Visier besaß, das »Schweineschnauze« genannt wurde, die Königin aber immer an einen Vogel erinnerte – an einen mächtigen Falken.
Während sie ihn ansah, schloss der König sein Visier mit einem deutlich hörbaren Klicken.
Etwas regte sich im Burghof. Soldaten reckten die Hälse, andere begaben sich zu den Mauern, noch andere sammelten sich beim Tor, hinter dem Rufe und galoppierende Pferde zu hören waren.
Die Königin betete nicht oft. Aber während sie den König beobachtete, legte sie die rechte Hand an den Rosenkranz um ihren Hals, betete zur Himmelskönigin und bat sie um ihre Gnade …
Zwei Pferde blitzten hinter dem Tor auf, galoppierten über die gepflasterte Straße zum Turnierplatz vor
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