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Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miles Cameron
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süßer, als er es mochte, aber heute Abend, unter dem Sternvorhang und mit einem schrecklichen Feind knapp außerhalb der Reichweite des Feuerscheins, kam ihm dieser Hippocras gerade recht.
    Eine Gegenwart.
    Es war ein milder Schock, als würde man eine frühere Geliebte eine Taverne betreten sehen. Irgendwo nicht sehr weit entfernt manifestierte sich etwas Mächtiges. Entweder war es sehr mächtig und recht weit entfernt, oder es war nur beeindruckend und erschreckend und befand sich auf dem angrenzenden Feld.
    »Zu den Waffen!«, rief Harmodius und sprang auf die Beine. Er sammelte sich einen Augenblick lang und streckte seine verstärkten Sinne aus.
    Gawin Murien steckte schon in seinem Lederwams und setzte sich gerade den Helm auf.
    Random trug einen Brust- und Rückenpanzer über seiner Reisekleidung und holte nun eine Armbrust aus demselben Wagen, in dem auch die Zutaten für den gesüßten Wein lagerten.
    Andere Männer nahmen den Alarmruf auf; die meisten waren vollständig angekleidet, bewaffnet und gerüstet, doch Harmodius beachtete sie gar nicht, sondern richtete seine innere Kraft an dem orangefarbenen Schein des Feuers vorbei auf diejenigen aus, von denen sie umgeben waren.
    Nichts. Nicht ein einziger Kobold.
    Harmodius kannte die Gesetze der Identität beim Gebrauch der Macht. Es gab immer zwei Möglichkeiten, einen anderen Benutzer zu orten. Man konnte es still tun, die eigenen Sinne einstellen und auf das Pulsieren einer Gegenwart warten. Oder man konnte den Puls der eigenen Macht in die Nacht aussenden, was jeder Kreatur der Wildnis, die auch nur die geringste Empfindungskraft für solche Dinge besaß, seine Identität verriete.
    Er entschied sich für die stillere, passivere Möglichkeit, auch wenn sie eigentlich nicht in seiner Natur lag und er vor Macht beinahe platzte. Seit vielen Jahren hatte er sich nicht mehr so fähig gefühlt. Er wollte mit seiner Macht spielen, ganz so wie ein Mann, der ein neues Schwert schwang und den Farnen und Fenchelstängeln die Köpfe abschnitt.
    Harmodius gebrauchte seine Macht. Und er machte sich die Kraft seiner Ungeduld zunutze.
    Er trieb seine Sinne weiter hinaus.
    Noch weiter.
    Hoch im Norden bemerkte er Trolle. Ihre großen, missgestalteten Umrisse waren in ihrer mangelnden Symmetrie genauso schrecklich wie ihre schwarze, kristalline Fremdartigkeit. Sie marschierten.
    Im Westen fand er einen Benutzer der Macht mit großem Talent, aber wenig Ausbildung. Doch er wusste nicht, wie er diese Entdeckung einordnen sollte. Handelte es sich um eine Dorfhexe, einen Koboldschamanen oder einen der lebenden Bäume der Wildnis? Er hatte keine Ahnung und tat dieses Wesen als zu schwach ab. Es konnte nicht die Quelle der Macht sein, die er gespürt hatte.
    Worum auch immer es sich dabei gehandelt haben mochte, sie schien die Welt verlassen zu haben – fortgegangen auf dem Pfad, den sie sich gewählt hatte. Entweder hatte sie sich einen neuen Ort geschaffen oder war zu einem gesprungen, der bereits vorher existiert hatte.
    Die Ausübung der Macht war wie ein Leuchtfeuer zurückgeblieben, und Harmodius hatte zu seinem Unglück feststellen können, dass sie sich hinter ihnen befand – viele Meilen im Südosten. Er stürzte sich darauf wie ein Raubtier auf einen Hasen – und floh genauso schnell wieder davor, als er die ungeheure Gewalt bemerkte, von der sie kündete.
    Als kleiner Junge im Fischerdorf war Harmodius, der damals noch einen anderen Namen getragen hatte, einmal mit zwei Freunden in einem winzigen Boot auf das Meer hinausgerudert, weil sie Meerforellen und Lachse hatten angeln wollen. Delphine und kleine Wale hatten sie begleitet und ihnen manchmal den Fang abgenommen. Aber später am Tag, als sie einen schweren Fisch einholten, hatte Harmodius einen Seehund gesehen, einen gigantischen Seehund, so lang wie sein Boot, der blitzartig kehrtgemacht hatte und nach ihrem wunderbaren Fisch gierte …
    … gerade als ein Leviathan, der ebenso viel größer als der Seehund gewesen war, wie dieser größer als der Lachs gewesen war, unter dem Boot umdrehte und sich den Seehund schnappte.
    Die Größe der Kreatur unter dem Boot – die das Fünfzigfache von dessen Länge maß – und ihr riesiges, rollendes Auge, der Blutschaum, der ohne den geringsten Laut an die Oberfläche trat, als der Seehund gerissen wurde, der daraus entstehende sanfte Wellengang und schließlich das vielleicht Schrecklichste, nämlich die mächtige Schwanzflosse, die in einer Entfernung von hundert

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