Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Schwingen über ihnen dahinglitten. Draußen zwischen den Bäumen hinter den Feldern gab es Bewegung – die Art von Bewegung, die ein Jäger wahrnimmt, wenn seine Beute einen Baum zum Erzittern bringt oder ein Eichhörnchen auf einen zu dünnen Zweig springt, der es nicht zu tragen vermag.
Michael indes öffnete ein in Pergament gebundenes Buch mit leeren Seiten und schrieb in seiner besten Handschrift hinein:
Die Belagerung von Lissen Carak. Erster Tag. Oder ist es schon der achte Tag?
Heute haben der Hauptmann und die Äbtissin durch ein mächtiges Phantasma einen Nebel hervorgerufen. Der Feind ist überall um uns herum, und viele behaupten, die Luft sei geradezu dick und schwer zu atmen. Der Bogenschütze Maddock wurde von einem Pfeil getroffen, der aus dem Schutz einer Baumgruppe kam, als er sich von den neuen Gräben weggetraut hatte, um einen Hammer zurückzuholen. Offenbar hatte er den Schutz des Nebels verlassen.
Über uns fliegt ein Lindwurm durch die Luft. Ich kann ihn kreischen hören. Und ich kann ihn sogar durch das Dach hindurch spüren – es ist ein Druck auf meinem Kopf.
Michael strich die letzte Bemerkung immer wieder durch, bis kein Wort davon mehr lesbar war.
Der Hauptmann schickt jede Stunde ein berittenes Ausfallkommando hinaus. Jeder Bewaffnete muss einmal daran teilnehmen. Außerdem hat er befohlen, dass schwere Maschinen auf den Türmen errichtet werden sollen. Die Festung besitzt zwei dicke Türme, und auf dem einen steht nun eine mächtige Schleuder, während der andere eine Blide trägt.
Die Menschen aus den Dörfern und die Kaufleute aus den Karawanen haben einen Graben von der Unterstadt bis zur Brückenburg gezogen. Er ist tiefer, als ein Mensch groß ist, und dabei so breit, dass ein kleiner Wagen auf dem Boden dahinfahren kann. Wir säumen ihn mit Planken. Der Hauptmann hat befohlen, dass Beutel auf dem Boden ausgelegt werden. Niemand weiß, was sich darin befindet.
Bei Sonnenuntergang begab sich Michael zu den Mauern und betete zusammen mit allen Männern und Frauen, die sich in der Festung befanden. Sie schickten ihre Stimmen gen Himmel, und dann wirkte die Äbtissin erneut einen Zauber. Er war einfach und hätte von jeder Dorfhexe ausgeführt werden können, doch Michael hoffte, dass er durch die Wünsche und Gebete aller Versammelten verstärkt wurde. Sie wirkte einen Abwehrzauber von der Art, wie ihn die weisen Frauen für die Getreidespeicher auf den Gehöften sprachen und der die kleineren Tiere davon abhielt, das Korn zu fressen. Sie machte es lediglich in größerem Maßstab und mit wesentlich mehr Macht.
Westlich von Albinkirk · Gerald Random
Meister Randoms Karawane brach trotz der Abenteuer der Nacht – oder vielleicht gerade wegen ihnen – früh auf.
Er war stolz auf seine Männer. Sie sangen in der Morgendämmerung, manche rasierten sich vor Spiegeln, die sie an die Wagenseiten gehängt hatten, andere schärften ihre Klingen oder Pfeilspitzen und Armbrustbolzen. Die Männer rollten ihre Laken zum Schutz vor Feuchtigkeit dicht zusammen. Andere kochten Wasser in Kupferkesseln oder erhitzten ein wenig von dem Haferbrei, der aus der letzten Nacht übrig geblieben war. An seinem eigenen Feuer wärmte der alte Magus in einem Kupferbecher gerade Bier.
»Ihr scheint zufrieden zu sein, wenn Ihr Euch selbst bedienen könnt«, sagte Random.
Harmodius hob nicht einmal eine Braue. »Ich möchte Euch das Lob aussprechen, dass Ihr ein großzügiger Mann seid. Aber das Bier ist nicht nur für mich vorgesehen, sondern auch für Euch.«
Random lachte. Er saß mit einer Legende vor dem Lagerfeuer, die ihm an einem kühlen Frühlingsmorgen ein Bier wärmte.
Vögel sangen, Männer sangen, und Random sah, wie der junge Adrian von den Goldschmieden auf einer Wagenkiste saß und zeichnete.
Adrian war ein Vergolder. Er war ein freundlicher Junge, der bald in den Stand eines Gesellen erhoben wurde, was für ihn aber nur ein Durchgangsstadium sein würde. Sein Vater war sowohl talentiert als auch reich. Adrian war mittelgroß, dünn und in guter körperlicher Verfassung, und seine kostbare Rüstung war von Fachleuten hergestellt worden. Er trug eine Brust- und eine Rückenplatte sowie seine Kapuze, und die Panzerhandschuhe lagen in seinem Schoß. Mehr und mehr junge Männer ahmten das Verhalten der Söldner nach; sie trugen ihre Rüstungen den ganzen Tag über und kümmerten sich sorgsam um ihre Waffen.
Random konnte nicht erkennen, was der junge Adrian zeichnete; er saß auf
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