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Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Der Rote Krieger: Roman (German Edition)

Titel: Der Rote Krieger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miles Cameron
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Er wusste, dass sie die Macht besaß; er hatte sie selbst bei ihr gespürt, aber er hatte sie erst als Heilerin betrachtet, als er bemerkt hatte, wie sie in den Krankensaal hinter dem Dormitorium gegangen war.
    Ihre geschlossenen Augen wirkten nicht gerade wie eine Einladung zum Gespräch, und so ging er leise an ihr vorbei und die Treppe hinauf, um Messire Francis Atcourt aufzusuchen. Atcourt war nicht von adliger Abstammung – kein Ritter. Den Gerüchten zufolge sollte er in seinem früheren Leben ein Schneider gewesen sein. Der Hauptmann fand ihn gegen die Kissen gelehnt; er sah sehr blass aus und las. Der Pergamenteinband trug keinen Titel, aber als sich der Hauptmann über ihn beugte, sah er, dass es sich um die Psalmen handelte.
    Der Hauptmann schüttelte den Kopf.
    »Schön, Euch zu sehen, Mylord«, sagte Atcourt. »Ich simuliere nur.«
    Der Hauptmann lächelte. Atcourt war schon vierzig Jahre alt – oder sogar noch älter. Er konnte Feuer machen, Fleisch tranchieren, einen Lederbeutel herstellen und Pferdegeschirre reparieren. Der Hauptmann hatte gesehen, wie er einem jungen Mädchen gezeigt hatte, ein Kleidungsstück abzusteppen. Er war nicht der beste Soldat der Truppe, aber er war ein kräftiger Mann – jemand, dem man eine Aufgabe anvertrauen konnte. Wenn man ihn bat, sich darum zu kümmern, dass das Essen gekocht wurde, dann wurde es eben gekocht.
    Er war nicht die Art von Mann, die gern simulierte.
    »Ich freue mich auch, dich zu sehen. Du hast eine Menge Blut verloren.«
    »Eure Nonne – die hübsche …«
    Der Hauptmann spürte, wie er errötete. »Sie ist nicht meine Nonne …«, stammelte er.
    Atcourt lächelte ihn an wie ein Lehrer. »Natürlich nicht.«
    Es war seltsam; der Hauptmann hatte es schon öfter bemerkt. Die Soldaten aus einfachen Verhältnissen – mit Ausnahme von Tom Schlimm, der eher eine Naturgewalt als ein Mensch war – hatten bessere Manieren als die Adligen. Und Atcourt wusste sich besonders gut zu benehmen.
    »Wie dem auch sei, ich meine die hübsche junge Novizin, die so gut Befehle geben kann.« Atcourt lächelte. »Sie hat mich geheilt. Ich habe gefühlt …« Da lächelte er wieder. »So fühlt sich die Güte an, glaube ich. Und sie hat mir das hier zum Lesen gebracht, also lese ich es auch.« Er verzog das Gesicht. »Vielleicht werde ich noch zum Mönch. Guten Tag, Tom.«
    Tom Schlimm ragte plötzlich über ihm auf und nickte seinem Freund zu. »Wenn dich dieser Pfeil nur eine Handbreit tiefer getroffen hätte, dann könntest du jetzt auch in ein Nonnenkloster eintreten.« Er grinste den Hauptmann an. »Die große Nonne ist inzwischen aufgewacht und reckt und streckt sich wie eine Katze. Ich konnt’s nicht mehr mitansehen.« Er lachte sein gewaltiges Lachen. »Was für einen Hals sie hat, was?«
    Der Hauptmann versuchte, Tom finster anzusehen, doch es war fast unmöglich, Tom finster anzusehen. Der Hauptmann spürte nun, da er auf dem Bett saß, jeden Muskel und jede seiner sechs Prellungen sehr deutlich.
    »Wir alle haben gesehen, wie Ihr diese Bogenschützen angegriffen habt«, sagte Tom und wandte sich ab.
    Darauf erwiderte der Hauptmann nichts.
    »Eigentlich solltet Ihr tot sein«, fuhr Tom fort. »Wie oft seid Ihr getroffen worden? Achtmal? Zehnmal? Von Kriegsbögen!«
    Noch immer schwieg der Hauptmann.
    »Ich will damit nur sagen, dass Ihr nicht dumm sein dürft. Ihr hattet teuflisches Glück. Was ist, wenn es Euch mal verlässt?«, fragte er.
    »Dann werde ich tot sein«, antwortete der Hauptmann und zuckte die Achseln. »Irgendjemand musste es tun.«
    »Jehannes hat es schon getan, und er hat es richtig getan«, sagte Tom. »Beim nächsten Mal hebt Ihr das Schwert und sagt jemandem, er soll gegen die Bogenschützen reiten. Aber jemand anderem .«
    Der Hauptmann zuckte noch einmal die Achseln. Endlich sah er wirklich wie ein Zwanzigjähriger aus. Dieses Achselzucken war nichts anderes als die rebellische Weigerung, das anzuerkennen, was ein Erwachsener ihm sagte, und in diesem Augenblick war der Hauptmann nichts anderes als ein sehr junger Mann, der bei einer dummen Handlung erwischt worden war. Und er wusste es.
    »Hauptmann«, sagte Tom und war plötzlich ein sehr großer, sehr gefährlicher Mann. »Wenn Ihr sterbt, werden wir das Ganze hier wohl kaum durchstehen. Deshalb lautet mein Rat: Sterbt nicht.«
    »Amen«, sagte der Hauptmann.
    »Die hübsche Novizin wird bei einem lebenden Mann bestimmt viel entgegenkommender sein als bei einem toten«, sagte

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