Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
ziehen!«, sagte die Äbtissin.
»Selbstverständlich nicht. Ich werde niemanden hinaus in den Tod treiben. Aber die Kaufleute und deren Tross müssen sich nützlich machen. Ich werde ein Dutzend Bogenschützen und zwei Soldaten zu ihrer Ausbildung abstellen. Wenn wir diese nutzlosen Mäuler nicht loswerden können, dann müssen wir sie uns halt nutzbar machen. Wir haben etwa vierzig Tagesrationen für ungefähr tausend Personen und kommen doppelt so lange aus, wenn wir die Rationen halbieren.«
»Und wir haben all dieses Getreide!«, rief ihm die Äbtissin in Erinnerung.
»Getreide für zweihundertachtzig Tage«, sagte er.
»Der König wird viel früher hier eintreffen«, meinte die Äbtissin überzeugt.
»Ich wünsche einen guten Tag«, sagte eine Stimme von der Tür aus, und der Magier Harmodius trat ein. Er lächelte in die Runde und schien sich ein wenig unsicher zu sein, ob er hier willkommen war. »Ich habe Eure Einladung erhalten, aber ich befand mich gerade mitten in einer Obduktion. Ihr, Mylords, sorgt für ausreichend Material zum Obduzieren.« Er lächelte. »Ich habe einige neue und sehr aufregende Dinge gelernt.«
Sie alle starrten ihn wie einen Leprakranken an, der gerade auf einem Fest erschienen war. Er zog einen Stuhl hervor und setzte sich.
»Übrigens waren Ratten im Korn«, sagte Harmodius. »Ich habe sie beseitigt. Wisst Ihr eigentlich, wer der Hauptmann der Feinde ist?«, fragte er und sah dabei die Äbtissin an.
Sie zuckte zusammen.
»Aha, ich sehe, Ihr wisst es. Hm.« Der alte Magus wirkte heute gar nicht so alt – eher wie vierzig als wie siebzig. »Natürlich erinnere ich mich an Euch, Mylady.«
Die Äbtissin zitterte einen Augenblick lang, dann zwang sie sich, den Magus anzusehen. Der Hauptmann erkannte, wie viel Mühe ihr das bereitete.
»Und ich kenne Euch ebenfalls«, sagte die Äbtissin.
»Wie schön, dass es so viele Geheimnisse gibt«, meinte der Hauptmann. »Ich zumindest freue mich aufrichtig, dass Ihr beide keine Fremden füreinander seid.«
Der Magus sah ihn an. »Das aus Eurem Munde?« Er beugte sich vor. »Ich weiß auch, wer Ihr seid, mein Junge.«
Jeder Kopf im Raum fuhr ruckartig herum. Zuerst sahen die Männer den Hauptmann und dann den Magus an.
»Ach?«, fragte die Äbtissin und griff nach dem Rosenkranz, der ihr um den Hals hing. »Wirklich?«
Harmodius genoss diesen theatralischen Augenblick, wie der Hauptmann deutlich bemerkte. Er wünschte, er wüsste, wer dieser alte Scharlatan war, und tastete nach seinem Dolch.
»Wenn Ihr mich bloßstellt, dann schwöre ich vor dem Altar Eures Gottes, dass ich Euch hier und jetzt die Kehle durchschneiden werde«, zischte der Hauptmann.
Harmodius lachte und schaukelte auf seinem Stuhl zurück. »Weder Ihr noch die anderen Anwesenden können mir auch nur ein Haar krümmen«, sagte er und hob die Hand.
Die Söldner sprangen auf die Beine und hatten schon ihre Waffen in den Händen.
Doch dann schüttelte der Magier den Kopf. »Meine Herren«, sagte er. »Ich bitte Euch um Entschuldigung, Hauptmann. Wirklich. Ich mag Überraschungen. Ich dachte, vielleicht … aber bitte gebt nicht allzu viel auf das Gerede eines alten Mannes.«
»Wer zum Teufel seid Ihr?«, fragte der Hauptmann über seine gezogene Klinge hinweg.
Die Äbtissin schüttelte den Kopf. »Das ist Harmodius Silva, der Magus des Königs. Er hat den Feind bei Chevin besiegt. Und er hat den vorherigen Magus des Königs unschädlich gemacht, als dieser uns betrogen hat.«
»Und Euer Liebhaber«, murmelte Harmodius. »Nun ja, einer Eurer Liebhaber.«
»Damals seid Ihr ein närrischer junger Mann gewesen, und tief in Eurem Herzen seid Ihr das noch immer.« Die Äbtissin lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
»Mylady, wenn ich das sein sollte, dann nur, weil er mich jahrelang geblendet hat«, sagte Harmodius. »Ich war nicht so siegreich, wie ich geglaubt hatte. Und er ist noch unter uns.« Harmodius sah sich am Tisch um. »Der Hauptmann des Feindes, Mylords, ist der frühere Magus des Königs – der mächtigste, den mein Orden in den letzten zwanzig Generationen hervorgebracht hat.« Er zuckte die Achseln. »Das vermute ich zumindest, aber meine Vermutung ist auf meine eigene Beobachtung gegründet.«
»Ihr seid zu bescheiden«, erwiderte die Äbtissin verbittert.
»Ich habe ihm damals eine Falle gestellt, wie Ihr genau wisst«, sagte Harmodius. »Ich hätte nicht einmal hoffen dürfen, seinen Phantasmata mit den meinen entgegentreten zu können. Und
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