Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
war Gawin bleicher als zu dem Zeitpunkt, da der Hauptmann ihn zuerst gesehen hatte. »Es tut mir leid«, sagte er. »Wir beide wissen, dass du sie geliebt hast.«
Der Hauptmann zuckte mit den Achseln.
»Gabriel …«
»Gabriel, Viscount Murien ist tot«, unterbrach ihn der Hauptmann. »Ich bin der Hauptmann. Einige meiner Männer nennen mich den Roten Ritter.«
»Den Roten Ritter? Das klingt ja wie ein namenloser Bastard«, erwiderte Gawin. »Du bist mein Bruder, Gabriel Moderatus Murien, der Erbe des Herzogs vom Norden und Sohn der Schwester des Königs.«
»O ja, ich bin wirklich der Sohn der königlichen Schwester«, meinte der Hauptmann und unterbrach sich, bevor er noch mehr sagen konnte.
Gawin hustete, setzte sich auf und fluchte. Ein Faden aus Scharlachrot kroch langsam über seine Lende. »Nein!«, murmelte er.
Der Hauptmann nickte. »Doch. Vielleicht fühlst du dich besser, wenn ich dir verrate, dass wir nur Halbbrüder sind.«
»Beim süßen Christus und seinen fünf Wunden«, sagte Gawin.
Der Hauptmann gelangte zu einer Entscheidung, indem er eine Reihe von Möglichkeiten opferte und eine andere Reihe vorschickte – wie Soldaten auf dem Schlachtfeld. Dann rückte er den Stuhl näher an seinen Halbbruder heran. »Berichte mir von dem Schrecklichen, das du in Lorica getan hast«, sagte er und ergriff Gawins Hand. »Sag es mir, und ich vergebe dir, dass du Prudentia umgebracht hast. Sie selbst hat dir bereits vergeben. Ich werde es dir eines Tages erklären. Sag mir, was in Lorica geschehen ist, und lass uns von Neuem beginnen – wie damals, im Alter von neun Jahren, als wir noch Freunde waren.«
Gawin legte sich zurück, und ihr Blickkontakt riss ab. »Der Preis für deine Vergebung ist hoch, Bruder.« Plötzlich war sein Gesicht blutrot. Dann ließ er den Kopf hängen. »Ich schäme mich so sehr. Ich würde es nicht einmal einem Priester beichten.«
»Ich bin kein Priester, und es gibt eine Menge, dessen ich mich ebenfalls schäme. Eines Tages werde ich es dir berichten. Also rede.«
»Warum?«, fragte Gawin. »Warum? Dann wirst du mich nur noch mehr hassen, und du wirst mich überdies verachten. Ich habe einen verabscheuenswerten Feigling abgegeben und bin unter dem Schwert eines anderen Mannes … gekrochen.« Tränen strömten an seinen Wagen herunter. »Ich habe versagt und verloren. Ich war gar nichts mehr. Für meine Sünden hat Satan mir das hier geschickt.« Er zog sein Hemd herunter und enthüllte die Schuppen, die an der rechten Körperseite von der Hüfte bis zum Hals gewachsen waren.
Der Hauptmann sah seinen Bruder an, der nach alldem noch immer so stolz war und seinen eigenen Stolz nicht einmal bemerkte. Es ist so leicht, andere zu verstehen, dachte der Hauptmann mit schwacher Belustigung. Und mit erstaunlichem Kummer. Er konnte einfach keinen gefühlsmäßigen Abstand zu Gawin halten.
»Eine Niederlage ist an und für sich keine Sünde.« Der Hauptmann rieb sich den Bart. »Ich habe Jahre gebraucht, um das zu lernen, aber am Ende habe ich es dann doch begriffen. Und Versagen ist auch keine Sünde. Sich in seinem eigenen Versagen zu suhlen …« – er ließ den Kopf hängen – »… ist etwas, das ich ausgezeichnet kann, wenn ich es zulasse, und das ist schon eher eine Sünde.«
»Du klingst wie ein Mann Gottes«, sagte Gawin.
»Verdammt sei Gott«, meinte der Hauptmann.
»Gabriel!«
»Ehrlich, Gawin, was hat Gott denn je für mich getan?«, wetterte der Hauptmann. »Wenn ich nach einem Schwerthieb aufwache und die ewigen Flammen in meinem armen Hintern lodern, dann spucke ich dem Schöpfer ins Gesicht, denn mehr habe ich in diesem abgekarteten Spiel nicht gewonnen.«
Diese Blasphemie beendete das Gespräch erst einmal. Allmählich ging die Sonne unter.
Schließlich rollte Gawin die Hüften ein wenig herum. »Meine Lenden bluten wieder. Könntest du sie neu verbinden? Ich kann es nicht ertragen, wenn die Schwestern das tun.«
»Mist«, meinte der Hauptmann. Was vorhin nur ein scharlachroter Faden gewesen war, das wurde nun zu einem Blutfleck, der sich rasch ausbreitete. »Bei Christi Tränen! Ich hole lieber fachkundige Hilfe.« Dann lachte er. »Vermutlich werden wir beide am Familienfluch sterben – übertriebener Stolz –, aber ich muss dir schließlich nicht aktiv dabei helfen.« Er schob seinen Stuhl zurück. »Amicia?«, rief er. »Amicia?«
Sie erschien so schnell, dass sie in der Nähe gewesen sein und jedes Wort mitgehört haben musste – das erkannte er
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