Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
geschliffen«, sagte Walter. »Es tut der Nase ziemlich weh, aber verdammt, so gut habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr lesen können.«
Der Hauptmann setzte sich die Brille auf die eigene Nase. Sie wollte nicht halten; der schwere Hornrahmen zwickte ihn. Ein feiner Stahlbogen hielt die beiden Linsen zusammen. Der Hauptmann kannte das Prinzip, aber er hatte noch nie ein solches Gerät im Einsatz gesehen.
»Ich … das heißt, wir …« La Tour wirkte reumütig. »Ich möchte hierbleiben, Hauptmann.«
Der Hauptmann nickte. »Das würde zu dir passen«, sagte er. »Aber ich befürchte, du bist noch nicht zu alt, um Nonnen zu jagen.«
»Was das angeht«, meinte Walter und wurde rot, »so denke ich darüber nach, die Gelübde abzulegen.«
Du weißt nicht, was du tust. Der Hauptmann lächelte und drückte die freie Hand des Mannes. »Freut mich, dass es dir besser geht«, sagte er.
»Das verdanke ich Gott«, sagte Walter, um seine Absichten zu erklären. »Hier bin ich gerettet worden. Ich war schon tot. Dieser Behemoth hat mich wie ein Insekt unter sich zerquetscht, und diese heiligen Frauen haben mich ins Leben zurückgebracht. Aus einem bestimmten Grund.«
Das Lächeln wurde aus dem Gesicht des Hauptmanns gewischt. »Ja«, sagte er, »auch ich schulde Gott etwas.«
Er trat zu der Reihe der Feldbetten. Sym lag mit dem Gesicht zur Wand; sein Rücken war sorgfältig bandagiert. In dieser Gesellschaft wurden Urteile unverzüglich vollstreckt. Er ächzte.
»Du bist ein Idiot«, sagte der Hauptmann mit geschäftsmäßiger Zuneigung.
Sym rollte nicht herüber. Er ächzte weiter.
Der Hauptmann hatte kein Mitleid, denn im Vergleich mit La Tour und den anderen waren Syms Schmerzen kaum mehr als der Stich einer Mücke. »Du hast dich in den Kampf gestürzt, weil du das Mädchen haben wolltest. Aber das Mädchen wollte dich nicht, und indem du seine Brüder und Freunde zusammengeschlagen hast, hast du dich bei ihm nicht unbedingt beliebter gemacht, oder?«
Ächzen.
»Aber das war dir gleich, weil du nichts gegen erzwungene Liebe einzuwenden hast, nicht wahr, Sym? Das hier ist nicht Gallyen. Schon in Gallyen hat mir deine Haltung nicht gefallen, aber dies hier ist unser eigenes Land, und wir sind alle miteinander in dieser Festung eingesperrt. Wenn du ein Bauernmädchen mit deinem Knoblauchatem auch nur anhauchen solltest, ob ohne ihre Einwilligung oder mit ihr, so werde ich dich mit meinen eigenen Händen aufknüpfen. Sym, ich will es ganz klarmachen. Du bist der nutzloseste Kerl unter meinem ganzen Kommando, und ich würde dich sehr gern aufhängen, denn diese Botschaft an die anderen, dass ich es ernst meine, würde mich nichts kosten. Hast du mich verstanden?« Er beugte sich vor.
Sym ächzte erneut. Nun weinte er.
Der Hauptmann hatte nicht gewusst, dass Sym überhaupt zum Weinen in der Lage war. Dies eröffnete völlig neue Perspektiven.
»Willst du der Held und nicht der Schurke sein, Sym?«, fragte er sehr ruhig.
Sym wandte seinen Kopf noch weiter ab.
»Dann hör mir zu. Das Böse ist eine freie Wahl. Es ist eine Wahl. Etwas Böses zu tun, ist zumeist der einfachere Ausweg, und irgendwann wird es zur Gewohnheit. Ich habe es auch getan. Jeder Verbrecher kann Gewalt anwenden. Jeder böse Mensch kann stehlen. Manche Menschen stehlen nur deshalb nicht, weil sie Angst haben, erwischt zu werden. Andere stehlen nicht, weil es falsch ist. Stehlen ist die Zerstörung der Arbeit eines anderen. Vergewaltigung ist Gewalt gegen eine andere Person. Gewaltanwendung zur Beendigung eines Streits …« Der Hauptmann hielt in seiner Morallektion inne, denn natürlich wurde in seiner Söldnertruppe ein Streit oder eine Meinungsverschiedenheit oft mit Gewalt beendet, ganz so wie es in allen anderen auch der Fall war. Er lachte laut auf. »Das ist zwar typisch für unsere Arbeit, aber sie muss uns schließlich nicht vollständig beherrschen.«
Sym jammerte.
Der Hauptmann beugte sich zu ihm hinunter. »Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt für die Entscheidung, der Held und nicht der Bösewicht zu sein, Sym. Wenn du so weitermachst wie bisher, wird dich das an den Galgen bringen. Man endet aber besser in einer Heldenerzählung als am Strang.« Er dachte an Tom. Der Mann war ein Hochländer – leicht zu vergessen, aber sein Ruhm würde in den Worten bleiben. »Ende lieber in einem Lied.«
Der kleine Mann wollte ihn nicht ansehen. Der Hauptmann schüttelte den Kopf; er war müde und mit dem, was er geleistet hatte,
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