Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
nicht sehr zufrieden.
Er erhob sich von dem Schemel, der neben dem Feldbett des Bogenschützen stand, und reckte und streckte sich.
Amicia befand sich unmittelbar hinter ihm. Natürlich. Da stand er nun, der Fürst der Heuchler.
Sie schaute auf Sym hinunter und dann wieder auf den Hauptmann.
Er zuckte die Achseln.
Sie runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und winkte ihn weg.
Er gab einen Laut der Verzweiflung von sich, trat nach draußen auf den Korridor und lief von den Betten der Rekonvaleszenten zum Saal der ernsten Fälle. Er ging einige Schritte, umrundete eine Ecke und stand plötzlich vor Gawin Muriens Bett. Das Bein des jungen Mannes war vom Schritt bis zum Knie bandagiert.
Er setzte sich neben Ser Gawins Bett. »Hier wird niemand nach mir suchen«, sagte er in bitterem Spott.
Gawin öffnete die Augen.
Das ist nicht mein Tag, dachte der Hauptmann.
Das folgende Schweigen hätte für ausgedehnte Gespräche gereicht. Für Streit, Wut, Aufbrausen. Stattdessen sahen sie einander wie Liebende an.
»Du scheinst noch zu leben, Bruder«, sagte Gawin.
Der Hauptmann zwang sich zu atmen. »Ja«, sagte er sehr, sehr leise.
»Und niemand weiß, wer du bist«, meinte Gawin.
»Du weißt es«, entgegnete der Hauptmann. »Und dieser alte Zauberer Harmodius.«
Gawin nickte. »Ich habe einen weiten Bogen um ihn gemacht«, sagte er. »Würdest du mir bitte helfen, mich aufzurichten?«
Der Hauptmann gehorchte und setzte seinen Bruder gegen die Kissen – er schüttelte sogar eines für ihn auf. Für seinen Bruder, der Prudentia auf den Befehl seiner Mutter hin ermordet hatte.
»Mutter hat gesagt, dass sie dich verdirbt«, sagte Gawin plötzlich, als ob er die Gedanken seines Bruders lesen könnte. Doch bei den letzten Worten versagte ihm die Stimme. »Sie hat es nicht getan, oder? Wir haben sie umsonst umgebracht.«
Der Hauptmann setzte sich, bevor seine Knie unter ihm nachgaben. Er wollte fliehen. Er wollte dieses Gespräch an einem anderen Tag führen. In einem anderen Jahr.
Die Wahrheit war, dass die Wahrheit zu entsetzlich zum Mitteilen war. Sie war beschämend und furchtbar und verletzte jeden zutiefst, der mit ihr in Berührung kam. Der Hauptmann sah Gawin an, der noch immer glaubte, dass sie Brüder seien. Wenigstens diese Lüge hielt noch.
»Prudentia wusste etwas, das sie nicht hätte wissen dürfen«, hörte sich der Hauptmann sagen. Er klang bemerkenswert ruhig. Dabei war er ziemlich stolz auf sich, zumindest einen Augenblick lang.
Gawin gab ein ersticktes Geräusch von sich. »Und so hat Mutter uns dazu gebracht, sie zu töten«, sagte er nach einer weiteren langen Pause.
»So wie sie dich jeden Tag angestachelt hat, mich zu quälen«, sagte der Hauptmann bitter.
Gawin zuckte die Achseln. »Das war mir schon vor deinem Verschwinden klar geworden. Richard hatte es nicht begriffen, ich aber schon.« Er schaute aus der Schießscharte neben seinem Kopf. »Ich habe etwas Schreckliches getan, unten in Lorica. Ich habe dafür gesorgt, dass einige gute Männer gestorben sind, und dann habe ich etwas Verachtenswertes getan.«
Plötzlich bemerkte der Hauptmann, dass Gawin ihn anstarrte. »Als ich im Matsch gekniet und den Feigling abgegeben habe, habe ich begriffen, dass ich mich rächen muss oder verrückt werden würde. Ich muss es sagen, Bruder. Verdammt, blitzartig habe ich erkannt, dass ich das Instrument deiner Vernichtung war. Es war so, als hätte ich dich eigenhändig getötet. Glaubst du, das hätte mich nicht berührt? Als wir deinen Leichnam gefunden hatten – wie hast du das eigentlich gemacht? –, nachdem wir also deinen Leichnam gefunden hatten, bin ich in die Wildnis geritten. Ich war wie von Sinnen. Ich wusste, wer Lord Gabriel getötet hatte. O ja. Dickon und ich wussten es, wir beide. Wir haben dich zu Tode gehasst, nicht wahr?« Er schüttelte den Kopf. »Aber du bist nicht tot, und ich bin mir nicht einmal sicher, was das bedeutet. Bist du ein Magus?«, fragte er.
Der Hauptmann seufzte. »Mutter hat mich zum Magus ausbilden lassen«, sagte er. »Durch Prudentia. Und dabei hat sie dir gesagt, wie verweichlicht ich sei und was für einen armseligen Ritter ich abgebe. Ich hatte mir geschworen, meine Studien niemals vor ihr zu enthüllen – und auch nicht vor Gott oder den Heiligen.« Er lachte verbittert.
»O mein Gott«, stöhnte Gawin. »Prudentia war ein Magus. Also … o mein Gott. Mutter hat den Pfeil besorgt.«
»Der aus Hexenholz bestand«, ergänzte der Hauptmann.
Nun
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