Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
eingenommen.« Er hob seinen Weinbecher. »Vor zweihundert Jahren, wenn ich mich nicht irre. Und jetzt ist die Wildnis zurückgekommen, weil sich die Grenzen verändern und alles auseinanderfällt, und nun sind wir schwächer als damals.«
»Albia?«, fragte Jehannes.
»Die Menschheit«, sagte der Hauptmann. »Das ist nur der Hintergrund, aber es ist wichtig, denn ich habe mich immer wieder gefragt, warum der Feind so viele Verluste hinnimmt und sich uns gerade hier entgegenstellt. Es kostet ihn einen hohen Preis. Jehannes, wie viele Feinde haben wir bisher getötet?«
Jehannes schüttelte den Kopf. »Viele«, sagte er.
»So viele, dass ich mir nur wünschen könnte, ich hätte mit der Äbtissin einen Vertrag nach Kopfzahl abgeschlossen«, sagte der Hauptmann. »Tatsächlich wurde ich in diesen Vertrag hereingelockt. Man hat dazu meine Jugend gegen mich eingesetzt.« Er lächelte. »Aber das ist jetzt gleichgültig. Der Feind hat mehrere Dutzend unersetzliche kleinere Mächte verloren und Hunderte, wenn nicht Tausende Einwohner der Hohen Wildnis. Wir haben siebenundzwanzig Leute aus der Gegend, sieben Schwestern, drei Novizinnen und neunundzwanzig meiner Soldaten verloren. Außerdem haben wir alle Gehöfte und alle Tiere verloren, die nicht in der Festung eingepfercht wurden. Und wir haben die Unterstadt verloren.« Er breitete die Hände aus und stützte sich auf die Tischplatte. »Aber wir haben nicht die Festung verloren. Und auch nicht die Brücke. Und was am wichtigsten ist: Wir haben nicht verloren .«
»Was haben wir nicht verloren?«, wollte die Äbtissin wissen.
Der Hauptmann zuckte die Schultern. »Das Spirituelle. Den Glauben, wenn Ihr so wollt. Unser Feind ist sowohl von seinem Erfolg als auch von der Zurschaustellung seiner Macht abhängig, mit der er diesen Ort einnehmen will. So ist es nun einmal in der Wildnis. Klauen kämpfen gegen Zähne. Der eine Wolf frisst den anderen. Jede kleine Niederlage, die wir ihm beibringen, jeder Stich veranlasst seine Verbündeten zu der Frage, ob er wirklich so stark ist, wie er scheint.«
Die Äbtissin nickte. »Können wir gewinnen?«, fragte sie.
Er nickte heftig. »Ja, das können wir.«
»Wie?«, fragte sie.
Der Hauptmann verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Kaminsims. »Indem wir ihn so schwer verletzen, dass seine Verbündeten zu der Auffassung gelangen müssen, er sei schwach.«
Harmodius schüttelte den Kopf. »Keiner von uns kann es mit ihm aufnehmen.«
»Er ist nicht sehr klug«, wandte der Hauptmann ein. »Ich glaube, dass wir ihn erledigen können, wenn wir alle zusammenarbeiten.«
Harmodius stand ebenfalls auf. »Ihr habt keine Ahnung«, sagte er. »Er ist viel mächtiger, als Ihr es Euch vorstellen könnt. Und selbst wenn es Euch gelingen sollte, ihn zu verletzen …« Er hielt inne, wollte sich offenbar davon abhalten, zu viel zu sagen.
Der Hauptmann nippte an seinem Wein. »Ich habe schon zweimal beobachten können, wie er sich zurückgezogen hat.« Der Hauptmann sah den Magus an. »Oder etwa nicht?«
Die Äbtissin klopfte wieder mit ihrem Stab auf den Boden. »Hauptmann! Magus! Gewiss seid Ihr nicht der Ansicht, dass wir diese Belagerung allein durchstehen müssen?« Sie sah den Hauptmann an. »Glaubt Ihr nicht, dass der Prior noch kommt? Und der König?«
Harmodius wandte sich ihr nicht zu. »Der König …«, sagte er und zuckte mit den Achseln.
Der Hauptmann lächelte ihr zu. »Mylady, ich glaube, der König ist nur noch eine oder zwei Tagesreisen von uns entfernt. Aber ich glaube, dass eine wirksame Verteidigung – ob gegen einen Barbarenstamm, einen Feudalherrn oder einen legendären Magus – in einem guten Angriff liegt, der den Gegner aus dem Gleichgewicht bringt. Ich möchte Euch etwas über die nächsten zwei Tage erzählen.« Er verzog das Gesicht, und zum ersten Mal bemerkten die anderen die Müdigkeit unter seinem scherzhaften Benehmen. »Erlaubt mir, eine Vermutung über die nächsten beiden Tage zu äußern«, sagte er.
»Heute Nacht wird der Feind in großer Zahl die Felder überqueren und versuchen, uns auf zwei Wegen von der Brückenburg abzuschneiden. Er wird zum einen versuchen, den Graben zu besetzen, den wir ausgehoben haben, und zum anderen wird er sich bemühen, unsere Maschinen zu zerstören.« Er sah Harmodius an. »Er wird es auf direktem Wege versuchen, mit mächtiger Magie, die die hermetischen Verteidigungsanlagen der Mauern überladen soll.«
Harmodius nickte
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