Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
Gegenüber der Königin war sie ein Nichts, und doch musste die Königin vor sich selbst zugeben, dass dieses Mädchen etwas Besonderes an sich hatte.
Aber in diesem Augenblick ließ ihre Weisheit sie im Stich. Sie errötete und sagte kein Wort.
Die Königin lächelte sie an, denn sie war stets zärtlich zu den Verlorenen und Verwirrten. »Hört mir zu, meine Liebe«, sagte sie sanft. »Liebt nur denjenigen, der Eurer Liebe würdig ist. Liebt diejenigen, die sich selbst und alle um sich herum lieben. Liebt die Besten – die Besten im Kampf, die Ersten in der Halle, die besten Harfenisten, die besten Schachspieler. Liebt keinen Mann aufgrund dessen, was er besitzt, sondern achtet nur auf das, was er tut.«
Sie lächelte die versammelten Hofdamen an. Und stieß dann zu. »Seid Ihr schwanger, Mary?«
Mary schüttelte den Kopf. »Diese Freiheit habe ich ihm nicht erlaubt, Mylady.«
Die Königin ergriff Marys Hand. »Gut gemacht. Denkt immer daran, meine Damen, dass wir unsere Liebe nur denen schenken, die uns verdient haben. Und unser Körper ist ein noch größerer Preis, als es unsere Liebe ist – besonders für die Jungen.« Sie sah jede einzelne Hofdame nacheinander an. »Wer sehnt sich nicht nach einer kräfti gen und doch zärtlichen Umarmung? Wer seufzt nicht nach einer Haut, die weich wie Leder ist, unter der sich aber Muskeln befinden, die hart wie Holz sein mögen? Doch empfangt ein Kind von ihnen …« – sie richtete ihren Blick fest auf Mary –, »… und man wird Euch eine Hure nennen. Und Ihr könntet bei der Geburt des Bastards sterben. Schlimmer noch, Ihr könntet gezwungen sein, in Armut zu leben und den Bastard Eures Liebhabers aufzuziehen, während er selbst ausreitet und sich Ruhm erwirbt.« Sie sah aus dem Fenster. »Falls Ihr nicht in einem Konvent eingesperrt werdet.«
Emmota hob den Kopf. »Aber was ist mit Liebe?«, fragte sie.
»Macht nicht irgendein rohes Gefühl, sondern Eure Liebe zur Belohnung«, sagte die Königin. »Gefühle haben auch brünstige Tiere, mein Kind. Hier interessiert uns aber nur das, was das Beste ist. Und Brunst ist nicht das Beste. Habt Ihr das verstanden?«
Das Mädchen schluckte vorsichtig. »Ja, ich glaube schon«, sagte es. »Aber warum sollten wir dann jemals bei einem Mann liegen?«
Die Königin lachte laut auf. »Artemis ist wieder auf die Erde gekommen! Weil sie sich um unserer Liebe willen dem Schrecken stellen, Mädchen! Glaubt Ihr denn, es sei leicht, in die Wildnis hinauszureiten? In der Wildnis zu schlafen, zu essen, zu leben? Ihr entgegenzutreten, gegen sie zu kämpfen und ihre Bewohner zu töten?« Die Königin beugte sich vor, bis ihre Nase die scharf gezeichnete Spitze von Emmotas Nase beinahe berührte. »Glaubt Ihr etwa, sie tun es zum Besten der Menschheit, meine Liebe? Vielleicht ist es bei den Älteren und Umsichtigeren so. Sie kämpfen stellvertretend für uns alle gegen die Gefahr, weil sie gesehen haben, was andernfalls geschähe.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber die Jungen treten dem Feind nur aus einem einzigen Grunde entgegen – sie wollen sich Euch würdig erweisen, meine Liebe. Und Ihr beherrscht sie . Wenn Ihr einen Ritter in Euren Schoß eindringen lasst, dann belohnt Ihr ihn damit für seinen Mut. Für seine Verwegenheit. Für seinen Wert . Es liegt in Eurem Ermessen zu entscheiden, ob er es verdient hat. Ist Euch das klar?«
Emmota blickte ehrerbietig in die Augen ihrer Königin. »Es ist mir klar«, sagte sie.
»Die Alten – die Archaiker des Altertums – fragten: ›Wer soll die Wächter bewachen?‹« Die Königin sah sich um. »Das sind wir, meine Damen. Wir wählen die Besten aus. Wir könnten uns auch entscheiden, die Schlechtesten zu bestrafen. Harthand war nicht verdienstvoll, und der König ist ihm auf die Schliche gekommen. Wir aber hätten es als Erste bemerken müssen, nicht wahr? Hat denn keine von Euch den Verdacht gehegt, dass er ein Prahler sein könnte? Hat sich keine von Euch gefragt, worin denn seine Kühnheit liegen mag, wo er sie doch nie unter Beweis gestellt hat?«
Mary brach in Tränen aus. »Ich protestiere, Madame.«
Die Königin umarmte sie kurz. »Ich berichtige mich: Er ist ein guter Kämpfer. Aber er soll es dem König gegenüber beweisen. Und er soll sich als Eurer würdig erweisen.«
Mary machte einen Knicks.
Die Königin nickte und erhob sich. »Ich werde nun dem König Gesellschaft leisten. Denkt immer daran. Darin liegt unsere Pflicht. Die Liebe – unsere Liebe – ist kein
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