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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Wänden ab, was sich allerdings leicht beheben lassen würde.
    »Na, siehst du«, sagte Lillian zu ihrem Großvater, während der Kutscher ihr Gepäck am Tor ablud. »So schlimm sieht es doch gar nicht aus.«
    »Von außen nicht. Aber wer weiß, was uns im Innern erwartet.«
    »Wo bleibt dein Optimismus, Großvater?« Lillian hakte sich lächelnd bei ihm unter.
    »Vielleicht habe ich ihn ja auf dem Schiff gelassen. Komm, lass uns unser Paradies in Augenschein nehmen.«
    Als ihr Großvater voran zur Gartenpforte ging, spürte Lillian eine Hand auf ihrem Arm. Erschrocken wirbelte sie herum; sie hatte gar nicht mitbekommen, dass sich der Kutscher ihr genähert hatte.
    »Für dich«, sagte er lächelnd und überreichte ihr dann sein Schnitzwerk, das er in der vergangenen Nacht beendet haben musste. Lillian stockte der Atem, als sie erkannte, was es war. Die kleine Flöte war über und über mit einem wunderschönen Muster bedeckt, das aus Ranken und Blättern zu bestehen schien.
    »Aber warum wollen Sie mir das schenken?«, wunderte sich Lillian.
    »In deinen Augen ist der Blick einer tohunga . Du vielleicht brauchst das.« Damit schlossen seine rauen Hände ihre Finger um die Flöte.
    Verwirrt blickte Lillian ihn an. Was meinte er damit?
    »Aber das kann ich nicht annehmen!«
    Der Mann lächelte nur, deutete eine kurze Verbeugung an und zog sich dann zurück.
    »Liebes, kommst du?«, fragte ihr Großvater, der mittlerweile schon an der Haustür angekommen war.
    »Ja, Großvater!«, entgegnete sie, betrachtete noch einmal kurz die Flöte und blickte dann zu dem Kutscher, der die restlichen Gepäckstücke ablud, als wäre nichts geschehen.
    Beim Umdrehen fiel Lillian auf, dass sich in einem der Fenster des Nachbarhauses die Gardine bewegte. Offenbar hatten die Leute ihre Ankunft bereits bemerkt. Wie würden ihre Nachbarn sein? Vielleicht gab es in der Nachbarschaft Mädchen, mit denen sie sich anfreunden konnte. Natürlich würde es nicht so sein wie mit Adele, aber vielleicht konnten sie ihr ein wenig helfen, sich hier einzuleben. Und wenn es die nicht gab, würde sie eben Adele davon berichten, was für blasierte Hühner die Mädchen hier waren.
    »Alles in Ordnung, mein Kind?«, fragte Georg, als Lillian bei ihm ankam. Eigentlich wäre nichts dabei gewesen, ihm die Flöte zu zeigen, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er zu dem Kutscher gehen und darauf bestehen würde, sie zurückzunehmen. Und auch wenn ihr das Geschenk merkwürdig vorkam: Sie wollte es unbedingt behalten. Ein Gefühl tief in ihr sagte ihr, dass es so richtig war.
    »Alles in Ordnung, Großvater«, antwortete sie lächelnd, während sie die Flöte in den hinteren Bund ihres Rockes schob und dabei vorgab, ihn nur zurechtrücken zu wollen. Die Frage, was eine tohunga sei, brannte ihr auf der Seele, doch sie würde zu einem anderen Zeitpunkt nachfragen; es war ja gewiss nichts Schlimmes, wenn eine tohunga solch eine schöne Flöte brauchte. Vielleicht bedeutete dieses Wort ja so etwas wie Musikerin. Musikalisches Talent hatte sie bisher vergeblich an sich gesucht, aber wer konnte schon wissen, was der Mann mit den seltsamen Zeichen auf den Wangen in ihren Augen gesehen hatte?
    Das Knarren der Veranda unter ihren Füßen klang in Lillians Ohren wie ein Willkommensgruß. Etwas Staub rieselte auf sie herab, als ihr Großvater den Außenflügel der Tür öffnete, der nur aus einem Holzrahmen bestand, mit einer Art Gaze bespannt. Der zweite Flügel war massiv und wurde nach innen geöffnet.
    In der Dunkelheit konnten sie zunächst nicht viel erkennen. Aber Lillian hatte nicht das Gefühl, dass sie hier eine böse Überraschung erwartete. Der erste Raum, wahrscheinlich die Küche, roch zwar ein wenig staubig, aber nicht unangenehm.
    Als sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, schritt sie zu den Fenstern, durch deren Läden ein paar schmale Lichtstreifen fielen, und öffnete diese kurzerhand. Das Nachmittagslicht ergoss sich sanft auf eine Anrichte, einen schweren runden Tisch mit vier Stühlen, einen gusseisernen Herd und ein Sideboard. Natürlich gab es hier weder Geschirr noch Töpfe oder Pfannen, aber die Grundeinrichtung war in einwandfreiem Zustand. Davon abgesehen, würde es an ihr liegen, wie wohnlich diese Räume wurden. Zu Hause in Köln hatte sie es stets geschafft, das wissenschaftliche Chaos ihres Großvaters in Schach zu halten, sodass sie sich nicht schämen mussten, wenn unerwartet Besuch kam. Hier würde ihr das gewiss auch

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