Der Rote Mond Von Kaikoura
gelingen.
»Na, was sagst du, Großvater?«, fragte Lillian strahlend, nachdem sie ihre Teppichstofftasche neben dem Küchentisch abgestellt hatte.
»Auf den ersten Blick nicht schlecht. Aber die Küche ist ohnehin eher dein Fachgebiet; wie du weißt, kenne ich mich hier nicht aus«, sagte er augenzwinkernd.
Nachdem Lillians Großmutter gestorben war, hatte er sich eine ganze Weile selbst versorgen müssen. Mit Hilfe einer Nachbarin war es ihm sogar nach einer Weile gelungen, selbst zu kochen. Als Lillian nach dem Tod ihrer Eltern zu ihm gekommen war, war er es gewesen, der ihr die ersten Handgriffe in der Küche beigebracht hatte. Dass sie zuletzt die Küchenarbeit beinahe allein bewältigt hatte, hieß also noch lange nicht, dass er keine Ahnung hatte.
Aber Lillian ließ sich auf sein kleines Spiel ein.
»Wenn das so ist, sage ich dir, dass dieser Raum perfekt sein wird, wenn wir erst einmal ein paar Vorhänge an den Fenstern und Geschirr auf dem Bord haben. Hoffentlich hat die Transportfirma die Kisten nicht allzu oft fallen lassen.«
»Nun, das werden wir herausfinden. Lass uns doch mal einen Blick in die anderen Zimmer werfen.«
In einem der mittleren Räume musste sich das Schlafzimmer der vorherigen Bewohner befunden haben, wie der Schatten des Bettkopfes auf der Tapete verriet. Sämtliche Möbel waren von den Vorbewohnern mitgenommen worden; offenbar hatte den Leuten etwas an diesem Bett gelegen, das wahrscheinlich vor Urzeiten von der Großmutter angeschafft worden war. Da es weder Kleiderschrank noch eine Unterlage zum Schlafen zu geben schien, sah sich Lillian die Nacht schon in einer der Hängematten verbringen, die ihr Großvater mitgenommen hatte – für den Fall der Fälle. Lillian hatte darüber noch gespottet und gemeint, dass die Schiffe mittlerweile besser ausgerüstet seien als noch zu seiner Jugendzeit. Aber ihr Großvater, der alte Seemann, hatte nichts davon hören wollen. »Wer weiß, wozu sie noch gut sind«, hatte er entgegnet, und wahrscheinlich würde sie sich bei seiner Rückkehr anhören müssen, dass doch nichts über seine Voraussicht ging.
Der Zweck des nächsten Raumes war nicht mehr zu ergründen, denn darin hatte sich offenbar alles angesammelt, was die Vorbewohner nicht hatten mitnehmen wollen. Seufzend sah Lillian ein, dass ihr wohl nichts anderes übrig bleiben würde, als all das Gerümpel rauszuwerfen, wenn aus dieser Abstellkammer wieder ein Zimmer werden sollte. Von einem der nächsten Räume war Lillian überzeugt, dass ihr Großvater ihn für seine Arbeit beanspruchen würde. Es war nicht der Größere von beiden, bot aber einen guten Blick aus dem Fenster.
»Wie wäre es, wenn du hier deinen Schreibtisch aufstellen würdest?« Als sie sich umwandte, sah sie ihren Großvater gedankenverloren aus dem Fenster blicken.
»Großvater?«, hakte sie nach.
»Was? Ja … ja, das wäre gut.«
Hatte er ihre Frage wirklich verstanden? Lillian blickte ihren Großvater prüfend an, konnte den Gedanken, der ihn abgelenkt hatte, aber nicht erahnen.
Dann schüttelte er sich plötzlich ein wenig, als wäre er kurz eingenickt und nun wieder aufgewacht. »Es wäre wohl gut, wenn ich in die Stadt gehen und den Leuten Bescheid sagen würde, dass sie die Sachen liefern können!«, sagte er, während er die Taschenuhr aus seiner Weste zog und den Deckel aufschnappen ließ. »Bei der Gelegenheit könnte ich dann auch Mr Caldwell telegrafieren, dass wir gut angekommen sind.«
Wahrscheinlich hat er daran gedacht, sagte sich Lillian; dann nickte sie. »Mach das, Großvater. Ich werde mich derweil ein wenig umsehen. Vielleicht birgt das Haus ja noch ein paar Schätze, die wir gebrauchen können.«
Gerade als Georg aus der Tür treten wollte, kam eine Frau den Weg vom Gartentor hinauf. Sie trug ihr dunkles Haar im Nacken zu einem Dutt gedreht, und ihr schwarzes Kleid mit dem zarten weißen Spitzenkragen deutete darauf hin, dass sie schon seit einiger Zeit Witwe war.
»Lillian, ich glaube, wir bekommen Besuch«, rief Georg und öffnete die Tür, noch bevor die Frau klopfen konnte.
Ein wenig erschrocken starrte sie ihn an, dann sagte sie: »Bitte entschuldigen Sie, wenn ich störe. Mein Name ist Allison Peters, ich habe gesehen, wie Sie in das Haus gegangen sind.«
»Georg Ehrenfels«, stellte sich Lillians Großvater mit einer kleinen Verbeugung vor. »Und das ist meine Enkelin Lillian. Wir sind die neuen Bewohner.«
Die Frau lächelte Lillian schüchtern zu, als diese ihr die Hand
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